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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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bin da, um dir zu helfen«, sagte ich. »Brauchst du irgendwas?«
    Wieder reagierte er nicht, und ich wartete ab. Ein langes Schweigen folgte. Dann begann ich, vorsichtig und sanft mit ihm zu reden. Ich sprach davon, wie schrecklich es hier für ihn sein müsse, wie froh ich sei, dass er mich angerufen hätte, und wie gerne ich ihm helfen würde.
    Nach zwanzig Minuten öffnete er endlich die Augen. Einen Moment hoffte ich, es geschafft zu haben. Dann betrachtete ich ihn näher, und meine Hoffnung war wie weggewischt. Seine Augen waren trüb und blickten ins Leere, die Hornhaut war schmutzig grau und viel zu rot. Er sah mich an, ohne mich zu erkennen.
    Aus einem der Mundwinkel lief Speichel in einem dünnen Rinnsal bis übers Kinn. Ich nahm ein Taschentuch und wischte ihn ab, packte ihn vorsichtig am Kinn und versuchte, Blickkontakt herzustellen. Vergeblich. Sein Blick blieb leer und leblos.
    Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sonnenschein sah es aus dem Augenwinkel. Er drehte sich abrupt um und stierte durch die Glaswand. Mit einem Blick gab ich ihm zu verstehen, dass alles in Ordnung sei, kurz darauf ließ seine Spannung nach, er beobachtete uns dennoch aufmerksam weiter.
    Jamey saß vollkommen reglos da. Sein Pyjama war schweißdurchnässt. Der Körper fühlte sich steif und kalt an; es war, als berührte ich eine Leiche. Plötzlich holte er tief Luft, wobei er die Backen nach innen sog, spitzte die Lippen und atmete aus. Es roch Ekel erregend. Dann wurde sein Atem flacher. Sein Kopf hing kraftlos herab, und er zitterte am ganzen Körper. Ein Schauer übertrug sich auf meine Fingerspitzen, schwächte sich ab, wiederholte sich. Die Energie, die dabei von ihm ausging, war so stark, dass ich mich vorsehen musste, nicht zurückzuzucken. Aber da ich gewisse Erfahrungen mit solchen Dingen hatte, sah ich mich vor.
    Stattdessen legte ich meine Hand fester auf Jameys Schulter. Ein Schluchzer, der tief aus dem Unterleib zu kommen schien, entfuhr ihm. Seine Schultern hoben sich, dann fielen sie wieder herab. Wieder schloss er die Augen. Sein Kopf schwang hin und her wie ein Pendel, dann fiel er auf den Tisch. Da lag er nun, eine Backe auf dem Metall der Tischplatte, den Mund weit aufgerissen, dazu atmete er laut und schwer durch die Nase. Ich konnte sagen und tun, was ich wollte, nichts holte ihn aus seiner Trance.
    Er schlief wie ein Toter. Ich beobachtete ihn, und mit jedem Heben und Senken seiner mageren Brust verließ mich der Mut ein wenig mehr. Ich hatte mich auf eine Psychose eingestellt, aber nicht auf einen so elenden Zustand. Alle Fragen, die man stellt, um herauszufinden, in welchem Geisteszustand jemand ist, die Raum- und Zeitgefühl, Klarheit von Gedankengängen und visuelle Wahrnehmung betreffen, waren hier ganz überflüssig. Am Telefon hatte er mir noch geantwortet, wenn auch nur bruchstückhaft. Auch hatte er Milo erzählt, dass er mich angerufen hatte. Da hatte er wenigstens noch eine Spur von Bewusstsein gehabt. Jetzt war er nichts als ein Zombie. Ich wusste nicht, ob das nur vorübergehend so war, die Art von tiefer Depression, die manchmal auf einen starken schizophrenen Schub folgt, oder etwas Schlimmeres: der Anfang vom Ende.
    Schizophrenie ist ein wirres Zusammenspiel seelischer Ungereimtheiten. Die Psychiatrie hat sich seit dem Zeitalter, in dem man seelisch Kranke als Hexen verbrannte, weiterentwickelt, aber über die Wurzeln dieser Krankheit wissen wir heute so wenig wie damals. Und so behandeln die Nervenärzte die Schizophrenie mit Medikamenten, ohne genau zu wissen, wie sie eigentlich wirken. Im Allgemeinen werden die Kranken beruhigt, was natürlich mit Heilen wenig zu tun hat. Ein Drittel dieser Patienten wird von selbst gesund, ein zweites Drittel spricht auf die Medikamente und bestimmte Therapiemethoden an. Die Übrigen reagieren auf gar nichts und sind zutiefst zu bedauern; man kann versuchen, was man will, ihr Geist geht unaufhaltsam völliger Zerstörung entgegen.
    Ich blickte auf den schmächtigen Körper von Jamey und fragte mich, zu welcher Gruppe er wohl zu rechnen sei.
    Eine weitere Möglichkeit gab es noch, aber sie kam eigentlich kaum infrage. Die Symptome, die er zeigte, glichen einer tardiven Dyskinesie, einem Zustand, in den Patienten geraten können, wenn sie über lange Zeit Psychopharmaka in höheren Dosen eingenommen haben. Dies geschieht aber erst nach mehreren Jahren und meistens bei älteren Patienten, nur in wenigen Fällen hat man solche Lähmungserscheinungen,

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