Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
zustimmend.
»Als ich ihn heute Morgen besucht habe, war er genauso«, sagte er. »Völlig weggetreten.«
Wir waren allein im Esszimmer seines Bürohauses. Im Raum war es still und düster. Er sollte typisch englisch wirken. Ein ovaler viktorianischer Tisch, der wie ein Spiegel poliert war, füllte beinahe den ganzen Raum aus. Passende, mit blumengemustertem Brokatstoff gepolsterte Stühle standen darum. Eine riesige steinerne Kamineinfassung, die aus einem zugigen Herrenhaus in Hampshire hätte stammen können, beherrschte eine Wand. Darüber waren Stiche von Jagdszenen aufgehängt, die ein Familienwappen umrahmten. Seidene Perserteppiche bedeckten den dunklen Parkettboden. Die Wände waren mit geschnitztem, gemasertem Holz getäfelt und eingewachst. Überall hingen alte Karikaturen aus dem Punch und Jagdstiche. In jeder Ecke stand ein gerieftes Postament, das die Marmorbüste eines Poeten trug. Schwere Vorhänge, aus dem gleichen Brokatstoff wie die Stuhlpolster, waren über die hohen, bogigen Fenster gezogen. Ein Waterford-Kronleuchter mitten über dem Tisch war die einzige Lichtquelle.
»Ein Beamter sagte mir, dass er im Zustand heftigster Erregung ins Gefängnis eingeliefert wurde, seitdem aber zunehmend apathischer geworden ist«, antwortete ich.
»Das ist eine zutreffende Bewertung. Sein Zustand hat sich bisher ständig verschlechtert. In Canyon Oaks war er manchmal längere Zeit über bei klarem Bewusstsein. Mancher hätte sich bestimmt im Stillen gefragt, warum Jamey sich dort wohl aufhielt. Bevor er seine … Schwierigkeiten bekam, war er ein erstaunlicher Junge, vor allem seine sprachlichen Fähigkeiten konnten einem Respekt einjagen. Mithilfe seiner Intelligenz versuchte er andere zu überzeugen, dass er zu Unrecht eingesperrt sei. Manchmal wirkte er so überzeugend, dass selbst ich mich ein paar Mal gefragt habe, ob diese Maßnahme richtig war. Aber wenn man längere Zeit mit ihm verbrachte, setzte sich zunehmend die Psychose durch.«
»Auf welche Art geschah das?«
»Er verwandte falsche Wörter, seine Gedanken wurden wirr. Die Gesprächsthemen wechselten ständig. Er fing einen Satz an, verstummte dann oder redete zusammenhanglos. Wenn man ihn nach den Ursachen fragte, brauste er auf, wurde häufig hysterisch, sprang auf, stieß völlig haltlose Beschuldigungen aus und fing an zu schreien. Schließlich wurden seine wachen Phasen immer seltener, er wurde zunehmend verwirrter und unberechenbarer. Man konnte sich mit ihm nicht mehr unterhalten. Dr. Mainwaring bezeichnete seinen Zustand als schwere Paranoia.« Er schüttelte den Kopf und seufzte tief. »Und jetzt hat sich sein Zustand offenbar noch weiter verschlimmert.«
»Meinten Sie mit ›unberechenbar‹, er sei gewalttätig?«
»Eigentlich nicht, eher unbeherrscht, vielleicht wäre er aber dazu fähig gewesen. Er fuchtelte wild herum, sprang auf, setzte sich wieder, verbarg sein Gesicht und zerrte an seinen Haaren. Er war ein- oder zweimal aggressiv, nicht bedeutend, vor seinem Ausbruch hat er jedenfalls nie jemanden verletzt. Keiner hat ihn für einen Mörder gehalten, wenn Sie mich danach fragen wollten.«
»Heute Morgen hat er gesabbert, gezittert und mit dem Mund saugende Bewegungen gemacht. Haben Sie das schon früher bemerkt?«
»Gestern habe ich das zum ersten Mal festgestellt. Natürlich habe ich ihn nicht häufig genug gesehen, um sicher zu sein, dass er das nicht schon früher gemacht hat. Was bedeuten diese Symptome?«
»Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Ich brauche genaue Aufzeichnungen über alle Behandlungen, die er erhalten hat, Medikamente, Elektroschocktherapie, Psychotherapie, über alles.«
Souza hob die Augenbrauen.
»Vermuten Sie eine Art Vergiftung?«
»Im Moment weiß ich nicht genug, um Vermutungen anzustellen.«
»Nun gut«, sagte er leicht enttäuscht, »ich werde für Sie ein Treffen mit Dr. Mainwaring vereinbaren, er kann Sie informieren. Denken Sie daran, mich zu benachrichtigen, wenn Sie irgendeinen Hirnschaden vermuten. Das wäre hilfreich.«
»Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.«
Er blickte auf mein unberührtes Essen.
»Haben Sie keinen Hunger?«
»Im Moment nicht.«
Er hob ein Glas Eiswasser an den Mund, trank und stellte es hin, bevor er weitersprach.
»Seine schlimme Verfassung hat mich nachdenklich gemacht, Doktor. Eigentlich war ich schon entschlossen, einen Antrag auf Verschiebung des Gerichtstermins wegen fehlender Verhandlungsfähigkeit zu stellen, habe mich jedoch anders
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