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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ob sie ihre Arbeit mögen. Der letzte, den ich fragte, war der andere Arzt, der Cadmus behandelt; er sah mich erstaunt an, als ob ich mit meiner Frage irgendwas herauskriegen wollte.«
    »Das war reiner Zufall. Er hat ein bisschen zu viel in Ihre Frage reingelesen.«
    »Kann sein, aber ich hatte eher das Gefühl, dass er einfach keine Bullen mag.«
    Ich dachte an alles, was Souza mir über Mainwarings Ruf als Gerichtsgutachter erzählt hatte, und antwortete nichts.
    Nach kurzem Schweigen sagte Sonnenschein: »Also, Sie mögen Ihre Arbeit wirklich.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was ich lieber täte.«
    »Sehr gut.« Er lächelte, wurde dann wieder ernst. »Wissen Sie, wenn man längere Zeit hier ist und immer diese Jungs sieht und erfährt, was sie alles getan haben, dann möchte man einfach wissen, wie es dazu gekommen ist. Verstehen Sie das?«
    »Aber sicher.«
    Die Tür des Fahrstuhls glitt auf, und wir gingen schweigend hinein. Als wir unten ankamen, war Sonnenscheins Gesicht ruhig und gelassen. Ich wünschte ihm alles Gute für sein Studium.
    »Vielen Dank«, sagte er und hielt seine Hand vor die Lichtschranke. »Ich hoffe, Sie finden heraus, was mit dem Jungen los ist. Ich würde Ihnen gerne helfen, aber das ist leider unmöglich.«
    Ich ging in den Warteraum. Hinter den blauen Gitterstäben sah ich zwei Männer. Ich sah sie nur von hinten, denn sie räumten gerade ihre Pistolen in eines der Schließfächer. Einer von ihnen war Cal Whitehead. Der andere war ebenfalls groß, hatte eine blasse Haut, dichtes schwarzes Haar und wache grüne Augen unter den buschigen Brauen. Hinten und an den Seiten war sein Haar kurz geschnitten, nur oben war es länger und hing ihm in einer Tolle in die Stirn. Er hatte markante Gesichtszüge, eine vorragende Nase, fleischige Ohren und aufgeworfene Lippen - er wirkte jungenhaft, vor allem durch die Aknenarben überall im Gesicht. Seine Kleider waren ausgebeult und zerknittert, er trug eine braune Cordjacke mit aufgenähtem Gürtel im Rücken, dazu braune Hosen und Stiefel, ein Hemd mit braunen Streifen und eine senffarbene Krawatte.
    »Ach, da ist ja der Psychiater«, sagte Whitehead.
    Ich achtete nicht auf ihn und sah mir den anderen an.
    »Tag, Milo!«
    »Hallo, Alex«, sagte mein Freund, dem die Begegnung sichtlich unangenehm war.
    Ein seltsames Schweigen folgte. Dann hörte man ein Geräusch hinter den Gitterstäben, Milo nahm die Kennkarte des Los Angeles Police Department vom Revers und steckte sie in den Erkennungsschlitz. Whitehead machte dasselbe mit seinem Sheriff-Ausweis.
    »Wie geht es dir denn so?«, fragte ich.
    »Gut«, antwortete er und sah zu Boden. »Und dir?«
    »Gut, danke.«
    Er hustete und wandte sich ab, dann fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht.
    Erneut folgte jenes seltsame Schweigen. Whitehead schien es zu amüsieren.
    »Erzählen Sie, Doktor, was macht Ihr Patient? Ist er bereit, alles auszuspucken und uns Arbeit zu ersparen?«
    Milo fuhr zusammen und warf mir einen wissenden Blick zu.
    »Erzählen Sie mir nicht, dass er völlig ausgerastet ist, in die Hose pinkelt, seine Scheiße frisst und ganz und gar unfähig ist, richtig und falsch zu unterscheiden.«
    Ich wandte mich zum Gehen, aber Whitehead stellte sich in voller Größe vor die Tür.
    »Gestern hatten Sie nichts zu sagen, aber heute sind Sie plötzlich sachkompetent, wie?«
    »Lass das, Cal«, sagte Milo.
    Whitehead sah mich an, lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Ach, natürlich, er ist doch ein Freund von dir, hatte ich ganz vergessen.« Er blieb unbeweglich stehen. »Wenn er den Psychotrick aus dem Hut zieht, ist’s natürlich okay.«
    Die Tür in die Vorhalle öffnete sich.
    »Cal, sei doch vernünftig«, sagte Milo. Ich bemerkte, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte.
    Whitehead sah mich wieder an und grinste. Schließlich trat er zur Seite. Er wandte sich um, ging durch die Tür zur Beamtenloge, gefolgt von Milo. Hinter ihnen schlossen sich automatisch die Gitter. Whitehead ging nach links und begann, sich angeregt mit den Beamten zu unterhalten. Milo stand abseits. Bevor ich zum Ausgang ging, versuchte ich, seinem Blick zu begegnen, aber er starrte nur unbeweglich zu Boden.

9
    Blut floss aus dem Steak, als Souza es anschnitt. Um das Fleisch bildete sich eine rosafarbene Pfütze, die sich schnell auf dem weißen Porzellanteller ausbreitete. Er schob sich ein dickes Stück Rinderlende in den Mund, kaute langsam, schluckte, wischte sich den Mund ab und nickte

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