Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
auf den Wärter mit dem beinahe kahlen Kopf. »Mr. Sonnenschein kümmert sich ab jetzt um alles.«
Ich wartete außerhalb des verglasten Raums und sah Sonnenschein zu, der immer noch im Besprechungszimmer auf und ab ging. Schließlich kam er zu mir, mit einem seltsamen Gang. Es sah aus, als seien Ober- und Unterkörper nur locker miteinander verbunden. Die Daumen hatte er in seine Gürtelschlaufen gelegt, sein Pistolenhalfter baumelte gegen die Hüfte. Er hatte ein seltsam kindliches Mondgesicht unter seinem schütteren Haar; aus der Nähe bemerkte ich, dass er tatsächlich noch ziemlich jung war.
»Ihr Patient wird jede Minute hier sein«, sagte er. »Man kommt im Sicherheitstrakt nicht sehr schnell vorwärts.« Er sah zu dem Glasraum und bat mich, dort mit ihm zu warten.
Er hielt mir die Tür auf und ging hinter mir hinein. Drinnen standen ein blauer Metalltisch und zwei Stühle, die am Boden festgeschraubt waren. Er bat mich, die Jacke auszuziehen, griff in die Taschen, fuhr mit den Händen über meinen Körper, wendete die Jacke, durchsuchte meine Brieftasche. Dann musste ich mich in eine Besucherliste eintragen. Ich stellte fest, dass Souza Jamey um acht Uhr morgens besucht hatte, Mainwaring vor einer Stunde.
»Sie können sich jetzt setzen«, sagte der Beamte.
Ich nahm den einen Stuhl, er setzte sich auf den zweiten.
»Sie sind hier, um zu sehen, ob er sie nicht alle auf der Reihe hat, stimmt’s?«
»Ich möchte erst mal mit ihm reden, dann sehe ich weiter.«
»Viel Glück.«
Ich sah ihn prüfend an, um herauszufinden, ob er das zynisch gemeint hatte. Aber er schien ganz aufrichtig.
»Was ich sagen wollte, war …« Sein Walkie-Talkie gab Geräusche von sich, und er sprach nicht mehr weiter. Er horchte, dann hielt er das Gerät an den Mund, sprach einige Zahlen hinein und sagte, es sei alles bereit. Er stand auf, ging zur Tür, stützte seine Hände in die Hüften und wartete aufmerksam.
»Sie wollten gerade etwas sagen«, erinnerte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf: »Bilden Sie sich selbst Ihre Meinung, da bringen sie ihn schon.«
8
Zuerst konnte ich nichts von Jamey sehen. Eine ganze Phalanx von Wärtern umgab ihn, alles Riesenkerle. Voran der große Rothaarige, der seinen Kopf aus der Tür zum Sicherheitstrakt gesteckt hatte. Jetzt betrachtete er mich aufmerksam und sah sich prüfend im Raum um. Dann nickte er zustimmend, und die übrigen Beamten kamen mit Jamey herein. Zusammen sahen sie aus wie ein gigantisches Spinnentier, das seine Beute in den Fängen hält.
Wäre ich Jamey auf der Straße begegnet, so hätte ich ihn nicht erkannt. Er war mindestens einen Meter achtzig groß, wog aber kaum mehr als einen Zentner. Der gelbe Anzug schlackerte ihm am Körper. Durch die Pubertät war sein Gesicht länglich geworden. Seine Züge waren gleichmäßig, aber hager, man konnte alle Knochen sehen. Er trug sein schwarzes Haar immer noch lang, es hing ihm in die Stirn und fiel in fettigen Strähnen auf die Schultern. Seine Haut war pergamentfarben mit graugrünen Schatten. Schwarze Stoppeln wuchsen auf Kinn und Oberlippe. Auf einer seiner hohlen Wangen saß ein großer Pickel. Die Augen hielt er geschlossen. Und er strömte einen seltsam sauren Geruch aus.
Die Wärter gingen schweigend mit abgezirkelten Schritten vorwärts. Mit ihren fleischigen Händen hielten sie Jameys dünne Arme fest. Nun brachten ihn zwei an den Tisch, ein Dritter setzte ihn auf einen Stuhl. Er saß da in komischer Haltung, ließ sich bewegen wie eine Marionette.
Als sie ihre Prozedur beendet hatten, kam der Rothaarige zu mir und stellte sich als Sergeant Koocher vor.
»Wie lange brauchen Sie, Doktor?«, fragte er.
»Das ist schwer zu sagen, bevor ich mit ihm gesprochen habe.«
»Uns wäre am liebsten, Sie blieben nicht länger als eine Stunde. Also, in sechzig Minuten kommen wir zurück und holen ihn. Falls Sie mehr Zeit brauchen, sagen Sie rechtzeitig Mr. Sonnenschein Bescheid. Er wartet gleich vor der Tür.«
Sonnenschein nickte zustimmend.
»Irgendwelche Fragen?«, wollte Koocher wissen.
»Nein.«
Er gab den anderen ein Zeichen, dann gingen sie. Sonnenschein ging als Letzter, blieb dann draußen vor der Glaswand stehen, die Hände über der Brust gekreuzt, und beobachtete den Raum mit den Anwälten und unseren Glaskasten. Ich wandte mich Jamey zu, der mir am Tisch gegenübersaß.
»Hallo, Jamey, ich bin’s, Dr. Delaware.«
Ich suchte in seinem blassen Gesicht nach irgendeiner Antwort. Aber ich fand keine.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher