Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
krank. Schwache Konstitution. Jack hatte ihr zur Hochzeit einen berühmten spanischen Herrensitz in Muirfield geschenkt, oberhalb des Gesellschaftsclubs, nicht weit von hier entfernt. Er gehört jetzt einem pakistanischen Chirurgen. Nachdem sie sich eingerichtet hatte, verließ sie das Haus nicht mehr, sie ging noch nicht einmal im Garten spazieren. Tatsächlich verließ sie auch selten ihr Zimmer, lag den ganzen Tag im Bett, kritzelte Verse auf Papierfetzen, nippte dünnen Tee und beklagte sich ständig über jede Art von Schmerzen und Beschwerden. Jack beschäftigte fast die Hälfte aller Ärzte der Stadt, die ihr Pillen und Stärkungsmittel verschrieben, aber nicht helfen konnten. Schließlich gab er auf, nahm ihren Zustand hin und ließ sie in Ruhe.«
»Sie war aber kräftig genug, um Kinder zu gebären«, sagte ich.
»Das ist wirklich erstaunlich, nicht wahr? Peter, Jameys Vater, kam zehn Monate nach der Hochzeit zur Welt, im Jahr 1948. Dwight folgte ein Jahr darauf. Jack hoffte, dass die Mutterschaft sie von ihrer Depression befreien würde, aber es ging ihr immer schlechter. Während der Schwangerschaften musste man ihr ständig Beruhigungsmittel geben. Nach der Geburt von Dwight zog sie sich völlig zurück, wies das Baby ab und wollte es weder in den Arm nehmen noch stillen. Schließlich wurde es so schlimm, dass sie ihre Tür zusperrte und weder Jack noch Peter sehen wollte. Die nächsten zwei Jahre blieb sie in ihrem Zimmer, trank ihre Säftchen, schluckte Pillen und schrieb Gedichte. Im Schlaf schrie sie, als ob sie schreckliche Albträume hätte. Dann begann sie, jeden zu beschuldigen, dass er sie umbringen wolle, Jack, das Personal, sogar die Kinder, das übliche paranoide Verhalten. Als sie dann aufhörte zu essen und zum Skelett abmagerte, wurde Jack klar, dass er sie in einer Heilanstalt unterbringen musste. Er dachte an eine Klinik in der Schweiz. Alles geschah im Geheimen, aber sie musste Wind von der Sache bekommen haben, denn eine Woche später war sie tot, durch eine Überdosis ihrer Medizin. Diese enthielt ein Opiat, und sie schluckte genug, um ihr Herz zum Stillstand zu bringen.«
»Wer kümmerte sich in der ganzen Zeit um die Kinder?«
»Jack stellte Kindermädchen ein. Als sie älter waren, kamen sie in Internate. Er tat das Beste, was er in seiner Lage tun konnte, Doktor, deshalb habe ich vorhin Ihre Frage nach dem Charakter des Vaters so positiv beantwortet.«
Ich nickte zustimmend.
»Schizophrenie hält man heute für vererblich, nicht?«, fragte er.
»Das kommt in vielen Familien vor. Vermutlich handelt es sich um eine Kombination aus Erbanlage und Umwelteinflüssen.«
»Ich halte Jamey für erblich belastet. Seine überdurchschnittliche Intelligenz hat er bestimmt von Jack. Alles andere kommt von der Mutter: Kontaktarmut, Paranoia, die morbide Vorliebe für Luftschlösser und Lyrik. Wie konnte er sich mit so einer genetischen Belastung normal entwickeln?«
Souza bemühte sich, Eindruck auf mich zu machen. Doch seine Erklärungen wirkten einstudiert. Anstatt seine Frage zu beantworten, stellte ich eine Gegenfrage:
»Wie haben Peter und Dwight die mangelnde Zuwendung durch die Mutter verkraftet?«
»Sie entwickelten sich unterschiedlich, deshalb kann man nicht auf die gleiche Ursache schließen. Dwight war immer ein braver Junge, der gefallen wollte, ein Egozentriker. Er wählte sehr früh den Mittelweg und blieb dabei. Peter war ganz anders. Er sah gut aus, war ein wilder Junge, der ständig Widerstand suchte. Er war ein heller Kopf, hatte aber keine Ausdauer in der Schule. Jack musste ein Haus stiften, um ihn im College unterzubringen. Er trödelte aber dort weiter herum und wurde schließlich nach drei Semestern gefeuert. Jack hätte strenger zu ihm sein müssen, aber Peter war sein Liebling, und deshalb verwöhnte er ihn. Er bekam Sportwagen, Kreditkarten und schon in jungen Jahren Zugang zu Wertpapieren. Das hat dem Jungen kein Rückgrat gegeben. Diese Toleranz zusammen mit der Haltlosigkeit der Sechzigerjahre zerstörte seine Persönlichkeit.«
»Nahm er Rauschgift?«
»Rauschgift, Alkohol und Sex, diese Signale der Unkultur fügten sich nahtlos in Peters natürliche Lebenslust. Mit neunzehn Jahren hatte er einen Ferrari. Damit paradierte er auf dem Sunset Boulevard und gabelte Mädchen auf. Im Jahre 1968 besuchte er eines Nachts eine Oben-ohne-Bar, hatte Gefallen an einer der Tänzerinnen, setzte sein Verführerlächeln auf, zückte seine Brieftasche und entführte sie
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