Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Polizeiwagen fuhren ab.
Plötzlich war es merkwürdig still auf der Straße. Milo lehnte sich an seinen Wagen, seufzte und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht.
»Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?«, fragte ich.
»Der Mann heißt Enrico Radovic, ein Psychopath erster Ordnung.«
»War er Chancellors Leibwächter?«
»Ja«, sagte Milo überrascht.
»Horace Souza erwähnte seinen Namen. Sagte, er sei unzuverlässig.«
»Das ist stark untertrieben. Er hat dich von Chancellors Villa bis nach Hause verfolgt. Ich sah ihn und fuhr hinterher.«
»Warst du auch dort? Ich habe dich gar nicht gesehen.«
»Mein Wagen stand hinter einer Ecke. Radovic steht unter Verdacht, an der Sache beteiligt zu sein, und so habe ich ihn beobachtet.«
»Während du telefoniertest, sagte er mir, dass er hergekommen sei, um mit mir zu sprechen. Was kann er gewollt haben?«
»Angeblich will er den Mord an Chancellor auf eigene Faust aufklären und möchte von dir Informationen über den Jungen haben.«
»Er muss doch wissen, dass ich ihm nichts sage.«
»Alex, bei diesem Kerl kannst du keine Logik erwarten. Ich kenne ihn schon lange. Früher war er Polizist; wir haben zusammen die Polizeischule besucht. Damals war er John-Wayne-Fan, arbeitete gleichzeitig als Privatdetektiv. Wenn er Streifendienst hatte, passierte immer was Schlimmes. In sieben Jahren fünf schwere Schießereien und ein ganzer Schwung Überfälle. Alles Schwarze. Er kam in die Sittenabteilung, aber da misshandelte er die Nutten. Dann kam er ins Büro, aber da schaffte er Geld auf die Seite. Niemand wollte ihn mehr, und er wurde von Abteilung zu Abteilung weitergereicht. Zuletzt war er in West Los Angeles, drei Monate im Archiv, dann warfen sie ihn wegen psychischer Labilität aus der Polizei raus. Seit ich ihn kenne, ist er hinter mir her. Ich fand immer wieder Zettel, die an Detective Tinkerbell gerichtet waren und nach Parfüm dufteten, in meinem Schließfach, lauter Unsinn.«
»Kommt mir seltsam vor, dass gerade er für einen Mann wie Chancellor arbeitet.«
»Mich überrascht es eigentlich nicht. Ich habe mir schon so was gedacht. Irgendwie ist er mit der Sache in Berührung gekommen, und er war fasziniert davon. Das ist aber nur ein Grund, weshalb wir ihn unter Beobachtung haben. Er ist außerdem gefährlich. Halt dich von ihm fern, wenn du ihm begegnest.«
»Aus welchem Grund will er den Fall aufklären?«
»Er sagt, es sei aus Loyalität zu Chancellor. Souza besudelt seiner Meinung nach den Namen seines Chefs, und er will, dass diesem Gerechtigkeit widerfährt. Aber wer zum Teufel weiß es wirklich? Der Kerl ist nicht nur verrückt, sondern auch ein notorischer Lügner. Vielleicht will er nur seine eigene Haut retten, und er weiß, dass wir ihn im Auge haben, vielleicht ist es einfach nur Spinnerei, und es macht ihm Spaß, Detektiv zu spielen. Nachdem er bei der Polizei rausgeflogen war, beschaffte er sich eine Genehmigung, und bevor Chancellor ihn engagierte und damit einen gefährlichen Kerl aus dem öffentlichen Leben entfernte, arbeitete er für verschiedene Anwälte. Aber er hielt es nirgendwo lange aus, dazu ist er viel zu unbeständig, außerdem arbeitet er lieber mit den Muskeln als mit dem Kopf. Hast du bemerkt, wie er vorhin gelacht hat?«
Ich nickte.
»Das macht er immer, wenn er in der Klemme sitzt, sonderbar ist das.« Milo tippte sich an die Stirn. »Der ist nicht ganz richtig im Kopf, Alex. Aber davon verstehst du mehr als ich. Die Hauptsache ist, dass du ihn dir vom Leib hältst. Ich habe genug zusammen, um ihn ein paar Tage einzusperren, aber er kann auch ganz schnell wieder draußen sein. Also pass bitte auf.«
»Ich nehme, was du sagst, sehr ernst.«
»Ich weiß, dass du besten Willens bist. Aber wir wissen beide, dass du eine Neigung hast, unwichtige Dinge wie deine persönliche Sicherheit zu vergessen, wenn dich eine Sache packt. Vergiss das nicht.«
Er warf mir einen ernsten Blick zu, dann öffnete er die Tür seines Matador.
»Wohin fährst du jetzt?«, fragte ich.
»Ich muss wieder an die Arbeit«, antwortete er und schaute weg.
»Du sagst das so beiläufig.«
Er zuckte die Schultern und stieg in den Wagen. Er schloss die Tür, ließ aber das Fenster herunter.
»Milo, was zum Teufel ist los mit dir? Einen ganzen Monat habe ich nichts von dir gehört! Wie oft habe ich versucht, dich zu erreichen, nie hast du mich zurückgerufen. Es kommt mir vor, als hättest du dich in eine Höhle vergraben und einen dicken
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