Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Griechenland, Türkei, alte Sowjetrepubliken. Oder um einen Israeli, einen Araber oder …«
»Ach, du Scheiße«, stöhnte Tannenberg auf. »Hoffentlich wird das keine politische oder ausländerfeindliche Sache. Ich hab absolut keine Lust, mich schon wieder mit diesen aufgeblasenen BKA- und BND-Fuzzis herumzuärgern.«
Der Rechtsmediziner wischte den Einwurf mit einer flüchtigen Geste beiseite. »Mein Zahnarzt hat am Telefon behauptet, dass er aus der Arbeit seines Kollegen möglicherweise gewisse Rückschlüsse ziehen könne. Zum Beispiel auf das Herkunftsland des Zahnarztes. Außerdem habe ich ein Inlay an Degussa geschickt, mit der Bitte, die Materialzusammensetzung der Goldlegierung zu ermitteln. Denn auch da gibt es offensichtlich regionalspezifische Unterschiede.«
»Na, da bin ich mal gespannt.«
»Ich auch. Mein Zahnarzt wollte heute Morgen vor der Praxisöffnung bei mir vorbeikommen.« Er zog seine Taschenuhr aus der Westentasche, klappte den reich verzierten Deckel auf und warf einen eiligen Blick aufs Zifferblatt. »Deshalb muss ich jetzt auch gleich los. Die beiden Teile dieses Herrn hier hab ich ja nachher noch lange genug auf meinem Tisch liegen.«
Er wandte sich zum Gedenkstein hin und kletterte vorsichtig den Hang hinunter. In freudiger Erwartung einer Streicheleinheit fing Kurt sofort an zu bellen.
»Warte noch einen Moment«, rief Tannenberg ihm nach. »Gibt’s sonst noch was?«
»Sehr guter Allgemeinzustand«, gab er über die Schulter zurück. Plötzlich blieb er stehen und wandte sich zu seinem Freund um. »Ach so, fast hätte ich’s vergessen. Der Tote hat eine runde, etwa zehn Zentimeter große Brandnarbe auf dem Hintern.«
»Ob uns das nun entscheidend weiterbringt, wage ich …«, meinte der Kriminalbeamte enttäuscht.
»Und noch etwas fällt mir gerade ein: Als ich mir den Wildfraß im Gesicht näher angeschaut habe, ist mir etwas Merkwürdiges aufgefallen.« Er stockte, schien unschlüssig zu sein, wie er fortfahren sollte.
»Ja, was denn, sag schon!«, drängte Tannenberg.
»Nein, ich muss es anders ausdrücken: Nicht der Wildfraß im Gesicht ist merkwürdig.« Er wedelte nervös mit den Händen vor dem Körper herum. »Obwohl auch das, denn leider kann ich dir noch immer nicht sagen, welches Tier ihn verursacht hat. Die Bissanalyse gestaltet sich äußerst schwierig. Ich vermute mal, da waren verschiedene Waldtiere am Werk: Wildschwein, Fuchs, dazu vielleicht noch ein Raubvogel.« Ein Ruck ging durch seinen Körper. »Wolf, stell dir mal vor, du wärst ein wildes Tier.« Er lachte auf. »Bist du ja eigentlich auch, nicht wahr, mein alter Junge?«
Tannenberg verdrehte die Augen.
»Hättest du dich dann nicht auch über den Halsstumpf und die Hände des Toten hergemacht? Warum weisen beide Opfer an diesen Stellen keinerlei Bissspuren auf?«
6
Oh Mann, was ist das nur wieder für ein bescheuerter Auftrag, schimpfte Armin Geiger in Gedanken. Immer muss ich diese stumpfsinnigen Jobs machen. Warum kann sich der Chef nicht mal einen anderen Dummen dafür aussuchen?
Es war kurz nach 8 Uhr 30. Widerwillig öffnete er die schwere Brandschutztür und zog sie nach außen in den Flur hinein. Nachdem er das Licht angeschaltet hatte, wartete er auf der Türschwelle, bis die aufflackernde Deckenbeleuchtung den fensterlosen Raum mit grellem Neonlicht geflutet hatte. Als er das Chaos zu seinen Füßen erblickte, ließ er einen langen Stoßseufzer verlauten.
In dieser Bürokratenkatabombe sah es noch immer so aus, als ob man einen bis an den Rand mit Aktenbündeln gefüllten Altpapiercontainer in den muffigen Kellerraum hineingekippt hätte. Gestern Nachmittag war er schon einmal hier gewesen und hatte ohne jeglichen Erfolg die Aktenberge durchstöbert. Allerdings hatte er ausgesprochen planlos da und dort herumgewühlt und irgendwann frustriert die Suche aufgegeben.
Aber diesmal war er besser vorbereitet. Er hatte sich am Abend eine Strategie zurechtgelegt, mit der er seinen Job nun weitaus professioneller in Angriff nehmen konnte. Außerdem hatte er sich reichlich mit Proviant eingedeckt und einen CD-Player von zu Hause mitgebracht. Wie ein im Sumpf watender Storch stieg er über die Ordnerhaufen hinweg zu einer Steckdose und schloss das Gerät an. Dann stakste er zurück zur Tür und betrachtete eine Weile kopfschüttelnd dieses heillose Durcheinander.
Die Countrymusik verbesserte schlagartig seine Stimmung.
So schlecht ist der Job doch eigentlich gar nicht, dachte er bei sich.
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