Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
nichts. Genau wie bei dem anderen Opfer zu Hause in meinem Kühlfach.«
»Dafür kann es eigentlich nur eine einzige logische Erklärung geben.«
»Und die wäre?«
»Die beiden Männer wurden betäubt, bevor sie ermordet wurden.«
»Das seh ich genauso. Und …«
»Doch womit?«, warf Tannenberg dazwischen. »Mit einem Elektroschocker?«
»Nein. Darauf hab ich keine Hinweise gefunden. Allerdings hab ich etwas anderes entdeckt.« Er brach ab und leuchtete mit seiner Taschenlampe den mit verschiedenfarbigen Hautmalen und Pusteln übersäten Rücken des Toten ab. »Na ja, auf die Schnelle werde ich jetzt wohl nicht fündig werden. Da schau …«
»Was hast du entdeckt?«, setzte Tannenberg ungeduldig nach.
»Auf dem Rücken des ersten Leichnams habe ich einen kleinen Einschnitt gefunden, der wahrscheinlich von einer Kanüle stammt. Der Stichkanal führt direkt in den rechten Lungenflügel.«
»In die Lunge? Kommt man da mit einer Nadel überhaupt hin?«
»Nein, mit einer Nadel ginge das nicht so einfach. Das hab ich ja auch gar nicht behauptet. Ich habe Ka-nü-le gesagt, mein alter Junge. Und mit so einem Ding würdest sogar du Grobmotoriker das hinkriegen. Die Enden dieser Kanülen sind nämlich mit einem schrägen Schliff geschärft. Die gehen rein wie ein Messer in ein Stück weiche Butter.«
Dr. Schönthaler machte eine entschuldigende Handbewegung. »Nur welches Mittel gespritzt wurde, kann ich dir beim besten Willen noch nicht sagen. Die toxikologische Analyse nimmt leider einige Zeit in Anspruch. Aber eins steht schon mal definitiv fest: Das Mittel muss sehr schnell gewirkt haben.«
»Okay, okay. Weitere Obduktionsergebnisse?«
Bevor Dr. Schönthaler antwortete, brachte er den Körper des Toten wieder in die Rückenlage. Danach entfernte er vorsichtig mehrere Waldameisen von seinen Plastikhandschuhen. Anschließend richtete er sich auf.
»Apropos Ameisen«, sagte er. »Ich hatte ja zunächst vermutet, dass der Tod des ersten Opfers vor vier Tagen – von heute ab gerechnet – eingetreten ist. Also am 13. Juli. Aber nach der Sektion bin ich mir sicher, dass der Tote zwar drei Tage im Wald gelegen hat, aber bereits circa 36-48 Stunden vorher ermordet wurde. Mein Datierungsversuch aufgrund des Calliphorafundes war wohl etwas voreilig.«
»Schön, dass selbst du dich manchmal irrst«, erklärte Tannenberg schmunzelnd. Er warf die Stirn in Falten und rechnete zurück. »Das wäre dann der 11. Juli gewesen.«
»Richtig. Außerdem ist es ziemlich wahrscheinlich, dass der Leichnam diese eineinhalb oder zwei Tage in einem Kühlhaus bzw. in einer Gefriertruhe verbracht hat.« Ohne seinen Blick von dem Ermordeten abzuwenden, fuhr er nach einer kurzen Unterbrechung fort: »Übrigens dürfte unser erster Toter recht wohlhabend gewesen sein. Darauf deutet nicht nur seine Designerkleidung hin.«
»Dafür bist du ja wirklich der richtige Experte«, konnte sich der Kriminalbeamte nicht verkneifen.
Dr. Schönthaler überging großzügig den provokativen Einwurf. »Ganz im Gegensatz zu dem derangierten Kameraden, den wir hier vor uns haben.« Sichtlich angeekelt rümpfte er die Nase. »Schmutzige Bluejeans, T-Shirt zwei Nummern zu groß und löchrig, No-Name Turnschuhe.«
Seine Mimik veränderte sich nur unmerklich, als seine Augen an Tannenbergs Bekleidung emporkletterten. »Ich hab den Eindruck, dass du denselben Ausstattungsberater hast wie dieser Herr hier. – Egal. Nochmal zum ersten Toten: Auch sein Zahnstatus verweist auf ein sehr gut situiertes Herkunftsmilieu. Sein Gebiss wurde mit Inlays und Kronen aufwendig restauriert und befand sich in einem tadellosen Zustand.«
»Gut. Alter des Mannes?«
Der langjährige Rechtsmediziner schob nachdenklich den Unterkiefer vor und bewegte die Schultern auf und ab. »Etwa 60 bis 65 Jahre. Zurück zu seinem Zahnstatus. Den ich natürlich schon gestern Nachmittag zwecks Abgleich den Kaiserslauterer Zahnärzten zugefaxt habe.« Er seufzte. »Aber auch das kann erfahrungsgemäß eine Weile dauern. Leider! Na ja, jedenfalls hab ich meinen eigenen Zahnarzt gebeten, so schnell wie möglich bei mir in der Pathologie vorbeizuschauen.«
»Warum denn das?«
»Er soll sich das Gebiss unseres Toten mal im Original anschauen.« Als sich Tannenbergs verkrampfte Stirnpartie immer noch nicht entspannte, schob er erläuternd nach: »Weil ich das Gefühl habe, dass es sich bei dem Ermordeten um einen Ausländer handeln könnte. Vielleicht um jemanden aus dem südöstlichen Raum:
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