Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Hier unten ist es wunderbar kühl und ich hab meine Ruhe. Sollen sich die anderen doch in dieser Affenhitze abrennen, bis ihnen das Wasser im Hintern kocht! Außerdem ist bald Wochenende. Und da fahr ich mit meinen Kumpels zum Truckerrennen auf den Nürburgring. Das wird garantiert wieder eine Riesensause!
Während er mit tiefer Stimme Lee Marving bei ›Wandering Star‹ begleitete, schenkte er sich Kaffee ein und machte sich an die Arbeit. Nach ungefähr zwei Stunden mühevoller Suche beschleunigte sich urplötzlich sein Puls. Er war auf einen dicken, mit einem rotem Band umwickelten Packen Ordner gestoßen, der offensichtlich die gesuchten Ermittlungsakten aus den 70er Jahren enthielt. Auf dem Deckblatt fand er einen Hinweis zu den damals sichergestellten Asservaten. Er klemmte sich die Aktenmappen unter den Arm, verließ das Gebäude und fuhr zum Pfaffplatz, wo im Untergeschoss seiner Dienststelle die Asservatenkammer angesiedelt war.
Gerade als er sich an Mertels Labor vorbeischleichen wollte, öffnete sich die Tür und der Kriminaltechniker baute sich direkt vor ihm auf. »Was machst du denn hier unten in meinem Hochsicherheitsbereich?«
Geiger traten Schweißperlen auf die Stirn. »Spezialauftrag vom Chef«, verkündete er wichtigtuerisch und zwängte sich an seinem verdutzt dreinblickenden Kollegen vorbei.
Mit dieser unbedachten Äußerung hatte er sich allerdings einen Bärendienst erwiesen, denn verständlicherweise wurde Mertel nun erst recht neugierig. Und wenn der Spurenexperte erst einmal eine Witterung aufgenommen hatte, gab er so lange keine Ruhe mehr, bis er das Rätsel gelöst hatte.
Er folgte dem Kriminalhauptmeister in die Asservatenkammer und löcherte ihn die ganze Zeit über mit Fragen. Bereits nach wenigen Minuten gab sich Geiger geschlagen und berichtete in aller Ausführlichkeit sowohl von seinem eigentlich streng geheimen Rechercheauftrag als auch von seiner Entdeckung.
Da Mertel sich in der Asservatenkammer bestens auskannte, war der große Pappkarton mit den Asservaten der nunmehr fast drei Jahrzehnte zurückliegenden Mordserie schnell gefunden. Ohne den Inhalt zu inspizieren, trugen die beiden Kriminalbeamten den Kasten und das Aktenbündel in Mertels Labor.
Geiger ließ es sich nicht nehmen und überbrachte höchstpersönlich seinem Vorgesetzten die frohe Kunde. Nur wenig später erschien der Leiter des K 1 in Mertels Labor. Er staunte nicht schlecht, als er die beiden Funde präsentiert bekam.
Da hat mein alter Herr wohl mal wieder recht gehabt, musste er neidlos anerkennen. Was hat dieser Mensch doch nur für ein beneidenswertes Gedächtnis.
Auch der von seinem Vater angegebene Zeitrahmen stimmte mit den tatsächlichen Ereignissen überein. Wie Wolfram Tannenberg einem zusammenfassenden Ermittlungsbericht entnehmen konnte, hatte in der Mitte der siebziger Jahre eine spektakuläre Mordserie die Pfalz erschüttert. Der sogenannte Liebespaar-Mörder hatte innerhalb von zweieinhalb Jahren vier Pärchen auf geradezu bestialische Weise getötet. Seine beiden letzten Opfer wurden mit durchgeschnittenen Kehlen an der Jammerhalde aufgefunden. Danach war Ruhe, obwohl der Täter offenbar nie dingfest gemacht werden konnte.
Als der derzeitige Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission den Namen seines Amtsvorgängers unter diesem Schriftstück las, umkrampfte Wehmut sein Herz. Kriminalrat Weilacher war sein langjähriger Vorgesetzter und Förderer gewesen. Sein plötzlicher Unfalltod hatte damals eine gewaltige Lücke hinterlassen, die sein Nachfolger nur unzureichend auszufüllen vermochte – fand Tannenberg jedenfalls. Diese selbstkritische Einschätzung behielt er allerdings lieber für sich.
»Schade, dass wir den alten Weilacher dazu nicht mehr befragen können«, seufzte er.
»Ja, leider«, pflichtete Mertel mit leiser Stimme bei. »Der hätte uns jetzt sicherlich weiterhelfen können.« Vorsichtig entnahm er dem Transportkarton ein Asservat nach dem anderen. Es handelte sich dabei vorwiegend um die Schuhe und Kleidungsstücke der Opfer. Sie waren einzeln in beschrifteten Plastiktüten verpackt.
»Sag mal, Karl, glaubst du, dass die Asservate auch noch nach dieser langen Lagerzeit Spurenträger sein könnten?«, fragte Tannenberg.
»Du meinst, ob sich darauf möglicherweise die DNA des Täters finden lässt?« Der Kriminaltechniker nickte. »Ist durchaus möglich, ja.«
»Dann könntest du doch mal …«
Mertel traute seinen Ohren nicht. »Wie? Du glaubst doch wohl nicht
Weitere Kostenlose Bücher