Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
blutige Arbeit von scharfen Hunden erledigen lassen?«
»Zum Beispiel von den Hounds of the Baskervilles?«, spottete sein Chef, wohl wissend, dass Sherlock Holmes sich in Arthur Conan Doyles Kriminalroman nur mit einem Hund herumschlagen musste.
Sabrina erbleichte. »Das ist ja wirklich eine, eine Horrorvision«, stammelte sie keuchend. Sie begab sich zum Waschbecken und klatschte sich mehrere Hände kaltes Wasser ins Gesicht.
Tannenberg blickte derweil grübelnd an die Decke. Er dachte gerade an eine Überschrift, die er gestern in der Bildzeitung gelesen hatte. ›Kannibalenprozess – Ich wollte ihn nicht töten, sondern nur essen‹, stand dort in großen roten Lettern geschrieben.
Diese gedankliche Abschweifung behielt er einstweilen für sich. Dafür akzeptierte er nun plötzlich Michaels makabre Hypothese: »Okay, okay, von mir aus. Auch das ist leider eine Möglichkeit. Ein Blick in die Zeitungen beweist uns schließlich täglich, dass wir Menschen offenbar zu allem fähig sind. Vielleicht kann uns der Doc ja irgendwann etwas Konkretes zu deiner Vermutung sagen.«
Schauß nickte.
»Egal, wo und wie das passiert ist, das Motiv für diesen barbarischen Akt dürfte wohl eindeutig sein: Der Täter wollte damit die Identifikation seiner Opfer erschweren«, formulierte Tannenberg die Quintessenz ihrer kleinen Debatte.
Doch der junge Kommissar war damit nicht zufrieden und bohrte nach: »Ja, aber wieso dieser ganze Aufwand? Das ist mir nach wie vor schleierhaft. Er hätte seine beiden Opfer doch auch im Wald in tiefen Gräbern verbuddeln können. Die Toten hätte doch nie jemand gefunden. Stattdessen präsentiert er uns beide Leichname wie auf einem Silbertablett. Und das auch noch exakt an derselben Stelle.«
»Genau. Und dann diese merkwürdige Sache mit der neuen weißen Lilie«, entgegnete Tannenberg. Einen Wimpernschlag bevor das letzte Wort seinen Mund verlassen hatte, kam ihm zu Bewusstsein, dass er seine Mitarbeiter noch gar nicht über dieses nicht unbedeutende Detail informiert hatte.
Er hatte gerade damit begonnen, von seinem merkwürdigen Fund zu berichten, als das Telefon läutete. Es meldete sich Kriminaldirektor Eberle, der ihn dringend zu sprechen wünschte.
Bei der im Büro des Dienststellenleiters eiligst einberufenen Zusammenkunft war auch Oberstaatsanwalt Dr. Hollerbach zugegen. Zunächst verschaffte Tannenberg den beiden ranghohen Beamten einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Aufgrund der außergewöhnlichen Umstände schlug er vor, via Lokalpresse die Bevölkerung um Mithilfe zu bitten. Eberle stimmte zu und wechselte anschließend zu einem anderen Thema über. Dabei ging es um etwas für Tannenberg ausgesprochen Unangenehmes, nämlich um die Einberufung einer Pressekonferenz. Denn so wie Dracula das Licht hasste, so hasste er öffentliche Auftritte.
Kriminaldirektor Eberle war Tannenbergs Aversion durchaus bekannt. Deshalb plante er ihn von vornherein erst gar nicht dafür ein. Die Pressekonferenzen führten meist er und der Oberstaatsanwalt durch. Trotzdem wartete er immer gespannt auf die Argumente, mit denen sein leitender Mitarbeiter sein jeweiliges Fernbleiben begründete. Diesmal musste Dr. Schönthaler als Ausrede herhalten. Als Tannenberg behauptete, der Rechtsmediziner habe ihn vor ein paar Minuten angerufen und dringend in die Pathologie beordert, entließ er ihn schmunzelnd.
Kaum hatte der Leiter des K 1 die Tür ins Schloss gedrückt, schon fiel seine innere Stimme über ihn her: Du elender Lügner! Vor Scham solltest du im Erdboden versinken!, schimpfte sie erbarmungslos auf ihn ein.
Aber das war doch überhaupt keine richtige Lüge, sondern nur eine winzigkleine Notlüge, versuchte er sich zu rechtfertigen.
Doch der Quälgeist ließ ihm keine Ruhe: Quatsch, es war eine knallharte Lüge – und das weißt du auch ganz genau!
Da er Kriminaldirektor Eberle sehr mochte, begann nun sein schlechte Gewissen wie eine hungrige Ratte an seiner zuweilen recht empfindsamen Seele herumzunagen. Aber weil er nicht nur ein recht eigenwilliger, sondern auch ein kreativer Mensch war, hatte er ziemlich schnell eine Lösung für sein Problem gefunden. Er beschloss nämlich spontan, dass er gar nicht gelogen haben konnte , weil Dr. Schönthaler ihn bereits vor der Besprechung mit Eberle in die Katakomben des Westpfalzklinikums gebeten hatte.
Zwar war diese Kontaktaufnahme lediglich auf telepathischem Wege erfolgt und der Rechtsmediziner wusste bislang
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