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Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Titel: Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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noch gar nichts von seinen übersinnlichen Fähigkeiten, doch solche profanen Dinge spielten zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Rolle – Hauptsache, Tannenberg war wieder mit sich und seinem Gewissen im Reinen.
     
    Erleichterung machte sich bei ihm breit. Beschwingt verließ er die Kriminalinspektion am Pfaffplatz und schlenderte durch die Hellmut-Hartert-Straße zu dem nur wenige hundert Meter entfernt gelegenen Krankenhauskomplex. Die tropischen Temperaturen hatten die engen Häuserschluchten in einen regelrechten Brutkasten verwandelt. Im Gegensatz zu der im Freien herrschenden Gluthitze war bereits der Eingangsbereich des Krankenhauses weitaus angenehmer temperiert. An einem blubbernden Spender zapfte er sich einen Becher Wasser, kippte ihn in einem Zug hinunter.
    Wie stets, wenn er seinen Freund an dessen Arbeitsplatz aufsuchte, veränderte sich auch diesmal bereits auf der in die Katakomben hinabführenden Treppe seine Befindlichkeit. Urplötzlich beseelte ihn eine andächtige Stimmung. Er fühlte sich wie ein Teilnehmer bei einer feierlichen Trauerprozession, die gerade in einen Dom einzog. Die Berufshektik verflüchtigte sich, die Atmung wurde ruhiger und tiefer, der pulsierende Geist fand Ruhe zur Besinnlichkeit. Mit gesenktem Kopf und gemessenen Schrittes durchquerte er einen langen, tristen Korridor und erreichte schließlich die weiß gefliesten Räumlichkeiten der pathologischen Abteilung.
    Im Totenreich des Rechtsmediziners war es noch ein paar Grad kälter. Die vielen Edelstahlflächen verstärkten zusätzlich den subjektiven Eindruck kühler Temperaturen. Als Tannenberg im Sektionsraum die beiden mit mintgrünen Tüchern abgedeckten Leichname erspähte, lief ihm eine eiskalte Welle über den Rücken. Er schaute hinunter zu seinem rechten Arm, wo sich in Sekundenschnelle Gänsehaut gebildet hatte. Abrupt riss er seinen Blick davon los und machte sich auf die Suche nach seinem alten Freund.
    Während er mit gebührendem Sicherheitsabstand an den beiden belegten Seziertischen vorbei schlich, vernahm er ein leises, monotones Schnarchgeräusch. Es stammte unzweifelhaft aus Dr. Schönthalers Büro. Behutsam öffnete er die Tür, auf der neben einem großen roten Totenkopf ein Warnschild mit dem Text ›Vorsicht Pathologe! Zutritt nur für Tote – oder solche, die es werden wollen!‹ angebracht war.
    Der groß gewachsene, hagere Rechtsmediziner lag auf einem Krankenbett und hielt offensichtlich ein Mittagsschläfchen. Seine aufgestellten, spitzen Beine zeichneten sich wie Zeltstangen unter einem dünnen Leintuch ab. Dieses Laken sah genauso aus, wie diejenigen, mit denen die Leichname für gewöhnlich verhüllt wurden. Seinen Anzug hatte Dr. Schönthaler akkurat über einen Stuhl gehängt und die Fliege auf der Mitte der Sitzfläche positioniert. Die blankgewienerten, schwarzen Lederschuhe standen exakt ausgerichtet darunter.
    Alter Pedant, dachte Tannenberg schmunzelnd. Er bildete aus seinen riesigen Händen einen Trichter, näherte sich dem Ohr des Freundes und flüsterte: »Hallo, mein liebes Rainerlein. Ich bin eine süße Fee und möchte dir einen Wunsch erfüllen.«
    Ohne Vorwarnung schoss der Gerichtsmediziner einem Springteufelchen gleich in die Höhe. Dabei schnitt er eine furchterregende Grimasse, spreizte die Hände und zischte einen bedrohlich klingenden Laut.
    Tannenberg fuhr zusammen, schlug reflexartig die Hände vor die Brust.
    »Jetzt simuliere mir bloß keinen Herzkasper, du alter Hypochonder«, spottete Dr. Schönthaler. »Zur Zeit könnte ich dir sowieso nicht helfen, auch wenn ich dies wollte.« Er stieß ein knatterndes Geräusch aus. »Was ich ja eigentlich gar nicht will.«
    »Wieso?«, fragte Tannenberg reflexartig.
    Der skurrile Gerichtsmediziner starrte ihn mit offenem Mund und stierem Blick an. Nachdem er kurz den geistig Verwirrten gemimt hatte, fuhr er grinsend fort. »Mein einziger Defibrilator ist nämlich gerade bei der Inspektion. So ein Bürokratenschwachsinn! Den brauche ich hier unten doch nun wirklich nicht. Aber es steht nun mal leider in irgendsoeiner bescheuerten Vorschrift drin.«
    Während dem Kriminalbeamten immer noch der Schrecken in den Gliedern steckte, begann sich sein Freund anzukleiden. »Hast du Trampeltier denn tatsächlich geglaubt, du könntest mich überraschen?«, höhnte er. »Ich hab deinen unverwechselbaren Plattfußtritt doch schon im Flur gehört.«
    Diese Provokationen beendeten abrupt Tannenbergs Schockzustand. Die Revanche folgte auf dem

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