Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
der Sache ist nur: Es ist mal wieder einer, der schlauer ist als sie selbst. Und genau das können diese Dilettanten nun wirklich ganz und gar nicht ausstehen.«
»Wo waren Sie heute Nacht?«, wiederholte Schauß seine Frage, diesmal allerdings bedeutend ruhiger.
»Heute Nacht? Ja, wo war ich da bloß?« Er hob das Kinn, wies damit auf seinen Hund. »Na, Brutus, weißt du das noch?« Auf ihrem Weg zurück zu Michael Schauß taxierten seine Augen den Inhalt des hautengen T-Shirts der attraktiven Kommissarin. »Lassen Sie mich bitte einen Moment nachdenken«, mimte Kreilinger weiterhin den Unwissenden.
Gemächlich wischte er sich mit einem grauen Leinen-Taschentuch den Schweiß von seiner Stirnglatze. Er grinste breit, wodurch die leicht geröteten Augen noch ein wenig kleiner erschienen. »Ach, jetzt ist es mir wieder eingefallen. Ich war in Johanniskreuz bei einem tollen Kulturevent. Ihr Chef wird Ihnen das gerne bestätigen. Der war schließlich auch dort.«
»Das hat er schon«, erwiderte Sabrina. Nur ein leichtes Beben in ihrer Stimme verriet ihre innere Anspannung. »Es geht um die Zeit danach.«
»Sie meinen, nachdem Ihr hoch qualifizierter Chef vom NAW abtransportiert wurde?«
»Exakt.«
»Nun, wir haben noch eine Weile aufgeräumt und dann zusammen ein Schlummer-Bier getrunken.«
»Wie spät war es da?«
Kreilinger zuckte mit den Schultern. »Na ja, so etwa 2 Uhr.«
»Und wo haben Sie den Rest der Nacht verbracht?«
Er seufzte und bedachte Sabrina mit einem weiteren frivolen Blick. »Tja, wissen Sie, mein liebes Fräulein, wenn ich Sie mir so anschaue, fällt mir ein, was ich heute Nacht gerne getan hätte .«
»Also, jetzt reicht’s, Sie notgeiler Waldwichtel«, herrschte ihn Michael an. »Entweder Sie reißen sich jetzt zusammen oder wir nehmen Sie vorläufig fest und bringen Sie zum Kommissariat.«
Kreilinger wollte es dem Anschein nach nicht auf die Spitze treiben, denn mit einem Mal zeigte er sich bedeutend kooperativer: »Nur keine Aufregung. Ein kleines Späßchen wird man sich doch wohl noch erlauben dürfen. Also, ich war zu Hause, hab mich noch zwei, drei Stunden aufs Ohr gelegt. Und in der Morgendämmerung bin ich dann zur Jagd.« Mit einem zufriedenen Blick auf den erlegten Rehbock vollendete er: »Wie Sie sehen, durchaus erfolgreich.«
»Waren Sie allein?«
»Ja«, antwortete er gedehnt.
»In welchem Revier waren Sie?«
Der Förster verdrehte die Augen. »Na, in welchem wohl? In meinem eigenen natürlich.«
»Zu dem auch die Gegend um die Jammerhalde gehört. Das ist doch richtig, oder?«
»Ja, sicher, Frau Kommissarin, das ist richtig.« Er kratzte sich intensiv im Genick und zog die Oberlippe zur Nase hoch. »Aber sie müssen wissen, dass ich ein ziemlich großes Revier habe. Und in der vergangenen Nacht war ich nicht in der Nähe der Jammerhalde. Da hab ich auf meinem Lieblingshochsitz angesessen – hoch oben auf dem Großen Rossrück.« Er deutete in nordöstliche Richtung. »Der liegt direkt bei Mölschbach und ist so etwas wie deren Hausberg.«
Danach ging er zu dem Zwinger, der eigentlich eher ein umzäunter Freilauf war. Die recht klein gewachsenen Jagdhunde kamen zu ihrem Herrchen gerannt. Sie kletterten mit den Vorderpfoten den Maschendrahtzaun empor und ließen sich von ihm kraulen. Dabei triefte Blut aus ihren mit kräftigen Zähnen bewehrten Fängen.
Angewidert riss Sabrina ihren Blick von diesem makabren Szenario los und schaute kurz hinüber zu dem überaus schmucken Forsthaus. Dann fasste sie ihn wieder scharf ins Auge. »Herr Kreilinger, können Sie mit Johanna – Mission 370 etwas anfangen?«, stellte sie nun die Frage, die sie sich eigentlich für einen späteren, günstigeren Zeitpunkt aufheben wollte. Aber dieser Satz war unkontrolliert über ihre Lippen gesprudelt.
»Womit?«
Sabrina wiederholte die mysteriöse Internetsignatur und achtete dabei auf eine verräterische Reaktion Kreilingers. Aber der Förster reagierte völlig natürlich und unverdächtig. Entweder wusste er wirklich nichts darüber oder er hatte sich extrem gut auf diese Befragungssituation vorbereitet: »Nee, hab ich noch nie gehört«, behauptete er. »Was soll das sein?«
Die junge Kommissarin machte keine weiteren Angaben, sondern wechselte das Thema: »Sie sind doch Mitglied in diesem Historikerverein, der sich …«
»Genau wie der Vater Ihres Chefs. Übrigens ein sehr netter, umgänglicher Mensch. Ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, diesem ungehobelten, aggressiven
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