Jan Fabel 01 - Blutadler
erwähnt hatte: Wassyl Witrenko.
Eine halbe Stunde später hatte Fabel sechs Spalten mit Namen, Daten und entscheidenden Fakten vor sich. Am Kopf jeder Spalte stand einer der sechs Namen, mit denen er begonnen hatte. Die mit Wassyl Witrenko an der Spitze war am spärlichsten bestückt. Fabel hatte alle denkbaren Verbindungen und Gemeinsamkeiten zusammengestellt. Das Ergebnis war ein stärker konzentrierter Überblick über die Einzelheiten, die sich bereits auf der Schautafel befanden. Doch die neue Skizze war nicht überflüssig. Für Fabel bestand das Ziel in der Tätigkeit selbst: in der Neuorganisation seiner Gedanken und der Wiedergabe seiner »Forschungsreise«.
Ein Name erschien in der Hälfte der Spalten: Eitel. Das erste Opfer, Ursula Kastner, hatte, wenn auch nur am Rande, mit dem Neuen Horizont zu tun gehabt, dessen Hauptaktionär die Eitel-Gruppe war. Zu dem zweiten Opfer, Tina Kramer, gab es keine ihm bekannte Verbindung. Das dritte Opfer, Angelika Blüm, kannte Eitel junior und hatte Eitel senior interviewt, und sie arbeitete laut ihrer Freundin Erika Kessler an einem kritischen Artikel über einen der Eitels oder beide. John MacSwain war für die Eitel-Gruppe tätig.
Witrenkos Bande schien hinter den Reihen von Namen und Fakten einen Schatten zu werfen. Klugmann hatte versucht, sich bei den Ukrainern einzuschmuggeln, und am Tatort war eine in der Ukraine hergestellte Handfeuerwaffe gefunden worden. Aber die Mörder waren keine Ukrainer gewesen. Daran hatte Hansi Kraus nicht den geringsten Zweifel gelassen. Angelika Blüm hatte außerdem an einem Bericht über die Aktionen der früheren sowjetischen Polizei und der Sicherheitsbataillone gearbeitet, wobei sie wahrscheinlich Vergleiche mit dem Hamburger Bataillon 101 während des Zweiten Weltkriegs anstellen wollte. Und Fabel hatte die Schmach erlitten, von irgendeinem slawischen Pensionär überwältigt zu werden. Es wäre eine Untertreibung gewesen, seinen Angreifer als kampferprobt zu bezeichnen. Er war offenkundig ein gründlich ausgebildeter Profi. Fabel zog einen Kreis um Witrenkos Namen. Er hatte keine Ahnung, wie alt der Mann war. Konnte der Angreifer Witrenko gewesen sein?
Hans Schreiber, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, war ebenfalls in den Vordergrund getreten. Er hatte zwei der Opfer gekannt, eines davon intim. Und er war der Letzte gewesen, der Angelika Blüm lebend gesehen hatte - außer ihrem Mörder, wenn man angesichts der Fakten voraussetzte, dass der Mörder jemand anderes war. »Son of Sven« steckte hinter allen drei Morden, und Schreiber hatte ein handfestes Alibi für die Tatzeiten von zwei von ihnen. Er passte einfach nicht ins Bild.
Fabel lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schaute hinunter auf die Seite, als wolle er die Landschaft seiner Ermittlung aus der Höhe begutachten. Er musste mit beiden Eitels, Vater und Sohn, sprechen, und er wollte seiner Ahnung gegenüber MacSwain nachgehen. Fabel war keineswegs davon überzeugt, dass der Schotte der Täter war, aber irgendetwas an ihm erweckte sein Misstrauen. Er schaute sich Anna Wolffs Plan für die »Verabredung« am Freitagabend an. Das Projekt war gut durchdacht, doch Fabel hatte immer noch Bedenken, Anna so eng mit einem möglichen Verdächtigen zusammenzubringen.
Fabel war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass das Telefon ihn aufschrecken ließ. Holger Brauner, der Leiter des Tatort-Teams, meldete sich. »Jan, du sorgst zumindest dafür, dass unser Leben nie langweilig ist. Das war ein sehr ungewöhnliches Objekt, das du uns übergeben hast.«
»Ist es die Mordwaffe?«
»Ja, und wie gesagt, es ist ein sehr ungewöhnlicher und interessanter Gegenstand in einer Stadt wie Hamburg.«
»Ach ja?«
»Es ist eine Fort 12 - dafür stehen die kyrillischen Buchstaben. Eine 9-Millimeter. Im Grunde ist es eine abgewandelte 9 mal 18 Makarow - mit zwölf Patronen. Die Makarow schießt Einzelfeuer und ist ein Rückstoßlader. Und hier das Interessante: Sie wird von den ukrainischen Polizei- und Sicherheitskräften benutzt.« Eine weitere Verbindung, dachte Fabel. »Die sowjetischen Sicherheitsdienste verwendeten Makarow-Pistolen, aber nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Blocks forderten die ukrainischen Spezialkräfte und Sicherheitsdienste etwas Zuverlässigeres. Deshalb kauften sie tschechische Maschinen in Uhersky Brod und fingen an, die Fort 12 zu produzieren.«
»Und sie wird nur an
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