Jan Fabel 01 - Blutadler
Nichtzivilisten ausgegeben?«
»Soweit ich weiß. Ich habe Kapff, unseren Ballistik- und Feuerwaffenexperten, veranlasst, die Informationen auszugraben. Es ist in erster Linie eine Waffe der Polizei und der Sicherheitsdienste, nicht der Armee.«
»Danke, Holger.« Fabel hängte ein und wählte dann die Nummer von Werner im Vernehmungszimmer. Es meldete sich niemand. Er trat hinaus ins Hauptbüro der Mordkommission. Maria Klee war als Einzige anwesend.
»Hast du Werner gesehen?« Maria verneinte. »Ich fahre nach Hause. Wenn Werner auftaucht, sag ihm, er soll mich anklingeln. Ich würde gern erfahren, wie er mit Hansi Kraus zurechtgekommen ist.«
»Willst du immer noch an unserem Gespräch mit dem odinistischen Spinner teilnehmen? Morgen früh um zehn?«
»Ich kann's kaum erwarten.«
Es war ungefähr halb neun, als Fabel die Mordkommission verließ. Von seinem Wagen aus rief er Susanne an. Sie hatte bereits gegessen, doch sie würde sich mit ihm in einer Bar in der Milchstraße treffen. Nachdem Fabel aufgelegt hatte, schob er das Verdeck seines Wagens zurück und bestückte den CD-Player mit einem BAP-Album. Als das Lied »Fortsetzung folgt« erklang, drehte er die Lautstärke auf und stellte sein Handy ab. Heute würde er sich einen ungestörten Feierabend gönnen.
Hamburg-Schanzenviertel,
Freitag, den 20. Juni, 10.00 Uhr
Das Schanzenviertel ist eine jener Hamburger Gegenden, die immer noch einen etwas zweifelhaften Ruf haben, doch kurz vor einem modischen Aufschwung stehen. Das Viertel hat zahlreiche Restaurants, Bars und Cafés, die den multikulturellen Charakter seiner Bewohner widerspiegeln, und es gibt eine reiche Vielfalt an Spezialgeschäften. Doch neben »coolen« Gebäuden findet man auch freudlose Mietshäuser, die vorwiegend von Zuwanderern bewohnt werden. Der große Sternschanzenpark mit seinem riesigen Wasserturm zieht tagsüber Familien und nachts Dealer an. Dort ist es zu Anti-Drogen-Protesten vor allem aus bürgerlichen Kreisen gekommen.
Björn Jannsens Laden lag unweit der Stresemannstraße und war zwischen einem Espresso-Ausschank und einer Sushi-Bar eingequetscht. Auf engstem Raum verkaufte Jannsen Bücher, Gerätschaften und Kunstgegenstände, die alle gebraucht wirkten und vage mit New Age zu tun hatten. Der Besitzer war nicht gerade das, was Fabel sich unter einem Wikinger vorgestellt hätte. Gewiss, er hatte blonde Haare, aber sie waren ein oder zwei Schattierungen dunkler als Fabels eigene und sorgfältig, doch erfolglos über eine rosa glänzende Platte gekämmt worden. Jannsen war klein und stämmig und sprach ein fließendes Deutsch mit unverkennbar dänischer Intonation. Der Gedanke, er könne als behelmter Berserker aus einem Langboot springen und mit einer Streitaxt um sich schlagen, sprengte nicht nur die Grenzen der Komik, sondern auch der physischen Realität.
Er stand hinter einem überladenen Tresen und streckte die Hand über das Chaos hinweg, als sich die beiden Polizisten näherten. Jannsen hatte eine verstohlene Art, und Fabel bemerkte, dass sich seine wässerig-blauen Augen immer wieder heimlich auf Marias Beine und Brüste richteten. Sie erwischte ihn dabei, und ihr Blick brachte die Einschätzung »Widerling« sehr beredt zum Ausdruck.
»Herr Jannsen.« Fabel lächelte höflich. »Wie ich von meiner Kollegin Frau Klee erfahren habe, gehören Sie einem Odinistenkult an und können uns vielleicht bei der Lösung eines unserer Fälle behilflich sein.«
Der Mann erwiderte das Lächeln und schüttelte den Kopf. In seiner Miene zeigte sich müde Nachsicht. »Nein, nein, nein, Herr Fabel. Ich gehöre keinem Kult an. Vielmehr bin ich der Gothi, der Hohepriester des Asatru-Blots. Das heißt, ich praktiziere das ursprüngliche Glaubenssystem Nordeuropas.«
»Wie Sie wollen. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns etwas über Ihr Glaubenssystem erzählen könnten. Wir ermitteln in einer Reihe von Morden, die ein rituelles Element aufweisen, das sich möglicherweise auf altnordische Bräuche bezieht.«
»Ich kann Ihnen versichern, Herr Fabel, dass Asatru ein Glaube des Friedens und der Harmonie ist.«
»Zwei Werte, für die plündernde Wikinger besonders berühmt waren«, meinte Maria sarkastisch.
Jannsen lächelte sie an und fuhr fort: »Asatru war der Glaube aller nord- und westgermanischen Völker: der Svea, die zu den Schweden wurden; der Dan, die sich zu den Dänen entwickelten; der Angeln, die zu den Engländern wurden; und der verschiedenen
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