Jan Fabel 01 - Blutadler
genommen?«
»Ja, sie waren schon hier.«
»In Ordnung. Vielen Dank, Herr Dr. Möller.« Fabel trat zur Tür. »Heute Nachmittag bekomme ich also Ihren vollständigen Bericht.«
»Herr Fabel ...«
»Ja?«
»Da ist noch etwas.«
»Was denn?«
»Sie hat eine alte Wunde außen am rechten Oberschenkel. Eine Narbe.«
»Deutlich genug, um als Kennzeichen zu dienen, mit dessen Hilfe wir sie identifizieren könnten?«
»Ja, sicher. Ich glaube, dadurch werden unsere Chancen, sie zu identifizieren, beträchtlich erhöht. Aber das ist noch längst nicht alles.«
»Wie meinen Sie das?«
Dr. Möller drehte sich zu seinem Computer um und drückte auf ein paar Tasten. »Ich habe das Digitalfoto in meinen Bericht eingefügt. Hier ist es.«
Fabel betrachtete den Monitor. Das Bild eines Frauenschenkels mit bleicher Haut. Ein runder Abdruck mit einer seitlichen Narbe und einigen Falten um ihn herum. Er erinnerte an einen alten Mondkrater.
Möller ließ ein weiteres Bild erscheinen. Diesmal war es die Rückseite des Schenkels. Nicht bleich, sondern von glänzendem Purpurrot. Es waren Leichenflecken: Da der Körper auf dem Rücken gelegen hatte, war das Blut durch die Schwerkraft an die untersten Punkte gesackt.
»Sehen Sie hier« - Möller klopfte mit seinem Kugelschreiber an den Monitor - »die entsprechende Narbe auf der anderen Seite? Es sind bereits stark verheilte Narben - vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Wissen Sie, woher sie stammen?«
»Ja«, sagte Fabel. Schließlich hatte er selbst zwei ähnliche Narben.
Möller lehnte sich zurück. »Ich würde meinen, dass die Wahrscheinlichkeit, sie zu identifizieren, dadurch ein wenig erhöht wird. Wie viele junge Frauen sind denn in den letzten zehn Jahren hier wegen Schussverletzungen behandelt worden?«
Es regnete heftig. Fabel verspürte den Drang, durch den Wolkenbruch zu eilen, damit das Wasser und die feuchte Luft den muffigen Geruch der Leichenhalle aus seiner Kleidung und seiner Lunge entfernten. Sein Auto war zwei Straßen weiter geparkt, und als er es erreichte, klebten seine blonden Haare an seiner Kopfhaut. Er fuhr in Richtung der Docks. Innerhalb von Minuten beherrschten die riesigen Kräne an den Ufern und Kais der Elbe den Horizont. Fabel rief sein Büro mit dem Handy an, um mit Werner zu sprechen, doch es war Maria Klee, die sich meldete. Sie erklärte, Werner habe mit dem Observationsteam für Klugmann Verbindung aufgenommen. Fabel beauftragte Maria, alle Hamburger Krankenhausunterlagen nach der Behandlung von fünfzehn bis fünf Jahre zurückliegenden Schussverletzungen durchzugehen. Jedes Krankenhaus und jeder Mediziner, die eine solche Wunde behandelten, waren gesetzlich verpflichtet, der Polizei Meldung zu machen. Maria entgegnete, dass die Frau, wenn sie wirklich als Prostituierte gearbeitet habe, vielleicht in eine Unterweltschießerei geraten und »inoffiziell« von einem gestrauchelten Mediziner behandelt worden sei. Das hielt Fabel jedoch für unwahrscheinlich.
»Sonst noch etwas?«, fragte er Maria.
»Werner lässt dir mitteilen, dass für morgen ein Treffen mit Professor Dorn vereinbart worden ist. Fünfzehn Uhr.« Maria zögerte. »Ist Professor Dorn eine Art Gerichtsmediziner?«
»Nein«, sagte Fabel. »Er ist Historiker.« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Ich dachte, es gäbe ihn gar nicht mehr. Und sonst?«
Maria erwiderte, eine Journalistin habe zweimal angerufen. Eine gewisse Angelika Blüm. Fabel kannte den Namen nicht.
»Hast du sie an die Presseabteilung verwiesen?«
»Ja, ich habe es versucht, aber sie wollte unbedingt mit dir sprechen. Ich habe ihr gesagt, dass sich die Pressestelle um alle Anfragen von Journalisten kümmert, aber sie behauptete, keinen Artikel schreiben zu wollen. Es gehe um eine Angelegenheit von großer Bedeutung, die sie mit dir besprechen müsse.«
»Hast du sie gefragt, um was für eine Angelegenheit?«
»Natürlich. Sie gab mir zu verstehen, dass mich die Sache nichts angeht.«
»Hast du eine Nummer?«
»Ja.«
»Okay, wir sehen uns, wenn ich zurück bin. Ich habe um halb drei einen Termin mit der Organisierten Kriminalität.«
Der Schnellimbiss an den Eibdocks wirkte winzig neben den hoch ragenden Kränen. Es war ein Wohnwagen mit einem breiten Servierfenster und einer bunten Überdachung. Um den Wagen herum verteilten sich in regelmäßigen Abständen hüfthohe Tischchen mit Sonnenschirmen, an denen ein paar Kunden standen, die Bockwurst verzehrten und Bier oder Kaffee
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