Jan Fabel 01 - Blutadler
tauchten die Halle in ein freudloses, unversöhnliches Gleißen.
Dr. Möller, immer noch mit einem grünen Sezierkittel bekleidet, saß an seinem Schreibtisch, blätterte in handgeschriebenen Notizen und spähte auf seinen Computerschirm. Hin und wieder schob er sich geistesabwesend eine Gabel voll Nudelsalat aus einem Plastikbehälter in den Mund. Er nahm Fabels Erscheinen nicht zur Kenntnis.
»Ich hatte gedacht, dass es verboten ist, hier etwas zu essen.« Fabel zog einen Stuhl heran, ohne auf eine Einladung zu warten.
»Ist es auch. Also verhaften Sie mich ruhig.« Möller blickte nicht von seinen Notizen auf.
»Was haben Sie über die Frau herausgefunden?«
»Sie bekommen den Bericht heute Nachmittag.« Möller tippte die Seite, an der er arbeitete, mit seinem Kugelschreiber an. »Ich schreibe ihn gerade.«
»Nennen Sie mir nur die Hauptpunkte.«
Möller ließ den Kugelschreiber auf den Tisch fallen, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, fuhr sich mit den Händen durchs Haar und verschränkte sie dann hinter dem Kopf. Er musterte Fabel mit seinem eingeübten, überlegenen Blick. »Haben Sie schon von Ihrem Brieffreund gehört?«
»Herr Dr. Möller, ich habe es eilig. Was können Sie mir sagen?«
»Wirklich ein interessanter Fall, Herr Hauptkommissar.« Möller griff nach seinen Notizen. »Das Opfer ist weiblich, fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahre alt, einen Meter fünfundsechzig groß, hat blaue Augen und braunes, blond gefärbtes Haar. Die Todesursache war Herzversagen durch Schock und extremen Blutverlust, der aus einer massiven Bauchverletzung resultierte. Sie war tot, bevor die Lunge herausgerissen wurde.« Er schaute auf. »Sie meinen, diese junge Frau war Prostituierte?«
»Ja. Warum?«
»Sie hatte in den achtundvierzig Stunden vor ihrem Tod keinen Geschlechtsverkehr. Die andere Sache ist, dass sie offensichtlich sehr gut auf sich achtete.«
»So?«
»Ihr Muskeltonus war extrem gut, und sie hatte ein sehr niedriges Fett-Muskel-Verhältnis. Ich würde sagen, dass sie entweder eine Athletin war oder jedenfalls sehr häufig ins Fitness-Studio ging. Sie rauchte nicht, und in ihrem Blut war keine Spur Alkohol. Ihre Ernährung scheint ebenfalls vorbildlich gewesen zu sein. Ihre letzte Mahlzeit bestand aus Fisch mit Hülsenfrüchten. Auch ihr Blutfettgehalt war optimal.« Möller blätterte erneut in seinen Notizen. »Wir haben die Leiche nach Rauschgiften untersucht - nichts. Von genetischen Einflüssen abgesehen hätte diese junge Dame wahrscheinlich ein stattliches Alter erreicht, wäre sie nicht Ihrem ›Briefpartner‹ über den Weg gelaufen.«
»Irgendetwas über den Mörder?«
»Keine gerichtsmedizinischen Spuren des Mörders. Wie gesagt, nichts deutet auf einen Geschlechtsverkehr oder irgendeine andere sexuelle Aktivität hin. Es handelt sich mit Sicherheit um denselben Täter - zumindest ist die Tötungsmethode identisch. Der Mörder nahm einen Einschnitt vor, der durch einen mächtigen, aber unglaublich präzisen Schlag auf das Brustbein - wahrscheinlich mit einem schweren Messer mit scharfer Klinge oder einem Schwert - zustande kam, wonach die Rippen aufgebrochen und die Lungenflügel freigelegt wurden. An den durchgeschnittenen Knochenrändern waren Stressindikatoren und Splitterungen zu sehen, was auf einen weit ausholenden, kräftigen Stoß nach unten hindeutet. Die Auftrennung der Rippen dürfte erhebliche Körperkraft erfordert haben, genau wie der Einschnitt durch einen einzigen Schlag. Es war bestimmt ein Mann - nach dem Penetrationswinkel der Waffe zu schließen nicht weniger als einen Meter siebzig groß und von mindestens mittlerem Körperbau.«
»Das grenzt den Kreis auf etwa neunzig Prozent der männlichen Bevölkerung von Hamburg ein«, murmelte Fabel ohne jeglichen Spott vor sich hin.
»Ich beschäftige mich nur mit physischen Beweisen, Fabel. Aber ich finde es erstaunlich, wie sehr diese Frau auf ihre Gesundheit und ihre Fitness geachtet hat.« Möller lachte. »Zwar fehlen mir Ihre Erfahrungen mit der Schattenseite unseres Stadtlebens, aber ich hätte nicht gedacht, dass die durchschnittliche Hamburger Prostituierte ihrer Gesundheit - oder der ihrer Kunden - viel Bedeutung beimisst.«
»Das kommt darauf an. Sie scheint ziemlich ›kostspielig‹ gewesen zu sein. Körperpflege wäre eine Investition in ... na ja, in ihr Produkt gewesen. Aber Sie haben nicht Unrecht. Nicht vieles an diesem Opfer passt ins Bild. Haben meine Leute ihre Fingerabdrücke
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