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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Hochdruckstrahl auf sein Gesicht prasselte und das Wasser an seinem Körper herabrieselte. Es war ein wenig zu heiß, aber er änderte die Temperatur nicht, damit der Schmutz der Nacht fortgeschwemmt werden konnte.
    Fabel dachte über die vergangenen elf Stunden nach. Er versuchte, sich auf die Tatsachen zu konzentrieren, auf das Puzzle, das er im Geist zusammenfügte, aber er konnte das Bild nicht auslöschen, das ihm alle paar Sekunden durchs Gehirn schoss: das Bild der Leiche der jungen Frau. Der Mann hatte ihr die Lunge herausgerissen. Was für ein Ungeheuer war dazu fähig? Wenn die Tat sexuelle Motive hatte, welche unsagbare Perversion konnte dem Mörder dann Befriedigung verschaffen? Fabel dachte daran, dass sich der von Habgier, Drogen und Brutalität verdorbene Klugmann so eindeutig von der Gräueltat distanziert hatte. Klugmann und Fabel schienen menschliche Extreme zu sein, doch sie widerstanden gemeinsam einer Barbarei, die jegliche Menschlichkeit verleugnete.
    Von zu heißem Wasser umhüllt, spürte Fabel unter der Dusche trotzdem ein Frösteln in seinem Innern, das ihn mit eisigem Griff zu umfassen drohte. Es ging von einer Gewissheit aus, die er tief in sich verschlossen hatte: Es war so sicher wie der morgige Sonnenaufgang, dass der Mörder erneut zuschlagen würde.     
    Nach dem Duschen streifte sich Fabel einen schwarzen Rollkragenpullover aus Kaschmir über, befestigte seine Automatik an dem schwarzen Ledergürtel, den er durch die Schlaufen seiner hellen Chinos gezogen hatte, und schlüpfte in seine Jaeger-Sportjacke. Er goss sich einen starken Kaffee ein und trat hinüber an das Panoramafenster. Fabels Wohnung lag in Pöseldorf im Stadtteil Rotherbaum. Sie war die Mansarde eines wuchtigen, um die Jahrhundertwende entstandenen Gebäudes, das sich, wie seine Nachbarn, einen Block von der Milchstraße entfernt in gebieterischem, strengem Selbstvertrauen erhob. Beim Umbau des Hauses hatte man in die Außenwand von Fabels Wohnung ein fast vom Fußboden bis zur Decke reichendes Panoramafenster eingesetzt, das über die Dächer der Magdalenenstraße auf die von Parks umsäumte Außenalster blickte. Von hier konnte Fabel die roten und weißen Fähren beobachten, die sich zickzackförmig über die Alster bewegten, um Passagiere - Touristen, Händler, Liebespaare - mit fröhlicher Regelmäßigkeit von einem Ufer zum anderen zu befördern, was dem Leben der Stadt einen gewissen Rhythmus verlieh. Wenn die Sonne in einem rechten Winkel stand, konnte er das schwache türkise Glänzen der iranischen Moschee an der Schönen Aussicht erkennen. Jedes Mal, wenn Fabel den Ausblick genoss, dankte er dem unbekannten Architekten, der dieses Fenster entworfen hatte.
    Fabel wohnte seit Jahren hier und hätte sich kein besseres Quartier wünschen können. An dieser Stelle traf das Studentenviertel - die Universität befand sich in Gehweite - mit dem reichen und modischen Pöseldorf zusammen. Auf der einen Seite konnte Fabel in zahllosen Buchhandlungen und Plattengeschäften am Grindelhof stöbern oder sich in der Spätvorstellung im Abaton-Kino einen unbekannten ausländischen Film anschauen; auf der anderen Seite konnte er in den eleganten Wohlstand der Milchstraße mit ihren Weinbars, Jazzclubs, Boutiquen und Restaurants eintauchen.
    Die Wolken waren endlich der Sonne gewichen. Fabel schaute mit leerem Blick hinaus, während eine düstere, Übelkeit erregende Besorgnis an ihm nagte. Wieder betrachtete er sehnsüchtig die Außenalster, um einen Teil ihrer Ruhe in sich aufzunehmen. Das malerische Hamburg, das sich vor dem Panoramafenster der Wohnung öffnete, schien seinen Charme eingebüßt zu haben. Fabels Blick glitt über den Horizont und streifte dann über das vertraute Bild: den riesigen Spiegel der Außenalster, der einen stahlgrauen Himmel reflektierte, die Grünflächen, die den See umsäumten und die Stadt durchzogen, die ordentlichen Wohn- und Bürohäuser, die den Fortschritt des Tages wie moderate, selbstsichere Bürger beaufsichtigten. Heute konnte das Bild Fabel nicht beruhigen. Heute war es kein »anderes« Hamburg, fern von der Stadt, in der er arbeitete. Heute ließ die Aussicht ihn empfinden, dass die Stadt, die er liebte, und die Stadt, die er bewachte, miteinander verschmolzen waren. Irgendwo da draußen verbarg sich etwas Monströses. Etwas Schlechtes, etwas so Brutales und Böswilliges, dass man es sich kaum als Menschen vorstellen konnte.
    Fabel kehrte in die Küche zurück und füllte seine

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