Jan Fabel 01 - Blutadler
Hamburg!«
Weitere Blitzlichter.
Die Journalistin schien sich über die unterschiedliche Körpergröße von Vater und Sohn zu amüsieren.
»Ich kenne Ihren Sohn natürlich längst.« Sie streckte Norbert Eitel eine Hand entgegen. Er lächelte und küsste ihre Finger.
Der ältere Eitel sagte: »Bitte, entschuldigen Sie uns. Wir haben äußerst wichtige Angelegenheiten zu besprechen.« Beide Männer deuteten eine Verbeugung an.
»Sie haben meine Frage noch immer nicht beantwortet, Herr Eitel«, rief die Journalistin entschlossen.
»Vielleicht ein andermal. Es war mir ein Vergnügen, gnädige Frau.«
Die Journalistin musste lächeln, während sie sich entfernte. Gnädige Frau. Das war eine Anrede, die eher für eine strenge, aristokratische Großmutter bestimmt zu sein schien.
Vater und Sohn sahen ihr zu, wie sie durch das Foyer zum Ausgang schritt. Wolfgang Eitel hatte nun eine viel gehässigere Miene aufgesetzt. Ohne sich seinem Sohn zuzuwenden, fragte er: »Wer war das, Norbert?«
»Oh, eine Freiberuflerin. Sehr geachtet. Hat für den Spiegel und den Stern gearbeitet.«
»Und sie heißt?« Es war keine Frage, sondern ein Befehl.
»Blüm, Angelika Blüm.«
B73 Hamburg-Cuxhaven,
Mittwoch, den 4. Juni, 18.45 Uhr
Furcht durchfuhr ihn wie elektrischer Strom. Eine köstliche Furcht, die seine Kopfhaut kribbeln ließ und ihm den Brustkasten zuschnürte. Dies war die Aufgabe, die er sich erwählt hatte, und er ärgerte sich nie darüber, dass er sämtliche Risiken tragen musste.
Er nahm die Hände vom Lenkrad, erst die eine, dann die andere, wischte sich den Schweiß von den Handflächen und konzentrierte sich auf die Straße. Schon eine routinemäßige Straßenkontrolle der Polizei oder ein kleiner Unfall oder eine Reifenpanne und eine hilfreiche Autobahnpatrouille würden genügen. Dann wäre alles vorbei. Er drehte den Rückspiegel so, dass er sie sehen konnte. Sie war auf dem Rücksitz zusammengesackt. Ihre Atemzüge waren tief, doch unregelmäßig und kratzend. Scheiße. Vielleicht hatte er ihr zu viel gegeben.
»Bleib bloß am Leben«, murmelte er, obwohl er wusste, dass sie weit davon entfernt war, etwas zu hören. »Bleib bloß noch zwei Stunden länger am Leben, du dumme Ziege.«
Außenalster, Hamburg,
Mittwoch, den 4. Juni, 19.40 Uhr
Die um 19.30 Uhr gestartete Rundfahrt-Fähre glänzte golden in der Abendsonne, die endlich über den Regen triumphiert hatte. Fabel stand an Deck und stützte sich mit den Unterarmen auf die Reling. Die Fähre war nicht besonders voll, und nur ein älteres Paar saß schweigend auf einer der Bänke an Deck. Die beiden blickten auf die Außenalster hinaus, ohne zu sprechen, ohne einander zu berühren, ohne einander anzusehen. Fabel hatte den Eindruck, dass sie sich nur noch Einsamkeit teilen konnten, und einen Moment lang schien es ihm, dass seine eigene Einsamkeit seit seiner Scheidung grenzenlos war. Unteilbar und ungeteilt. Es hatte etliche Frauen gegeben, doch jede neue Beziehung wurde von einem tiefen Schmerz begleitet, den er wie Schuld empfand, und die Freundschaften dauerten nie lange. Fabel hatte in jeder neuen Beziehung einen Sinn gesucht, doch er hatte ihn nie gefunden. Er war in den eng zusammengewachsenen lutherischen Gemeinden Ostfrieslands groß geworden, wo die Menschen einander fürs Leben heirateten. Im Guten und recht häufig auch im Schlechten. Es war ihm nie in den Kopf gekommen, dass er auf Dauer etwas anderes als ein verantwortungsbewusster Ehemann und Vater sein würde. Das war eine Konstante in seinem Leben, ein Fixpunkt wie sein Beruf als Polizist. Dann hatte seine Frau Renate den Markstein der Ehe aus seinem Leben entfernt, und Fabel hatte lange jegliche Orientierung verloren. Und nun, noch fünf Jahre nach seiner Scheidung, hatte er jedes Mal, wenn er das Bett mit einer anderen Frau teilte, das Gefühl, eine Art Seitensprung zu begehen, obwohl seine Ehe längst beendet war.
Das Schiff glitt weiter. Fabel war am Fährdamm im Alsterpark eingestiegen, und nun entfernten sie sich von der grünen und goldenen Fläche, die in der niedrigen Sonne zu glühen schien. Fabel hatte gerade einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen - neunzehn Uhr vierzig -, als er eine Gestalt bemerkte, die sich auf das Geländer neben ihm stützte. Er wandte sich einem großen, ungefähr fünfunddreißigjährigen Türken mit einem langen, gut proportionierten Gesicht und einem schwarzen Haarschopf zu. Der Mann grinste breit, und die Lachfalten um
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