Jan Fabel 01 - Blutadler
ist zur Stimme des Mannes auf der Straße geworden. Die Menschen von Hamburg wollen gehört werden. Sie haben es verdient, gehört zu werden. Mein Sohn wird dafür sorgen, dass man sie hört, mit Hilfe von Schau mal! Als Senator und schließlich als Erster Bürgermeister.«
»Und welche Botschaft genau wird er in Ihrem Namen überbringen?«, fragte eine attraktive Journalistin von etwa fünfundvierzig Jahren mit kurzem, elegant frisiertem kastanienbraunem Haar. Sie trug ein teures schwarzes Chanel-Kostüm, dessen Rock kurz genug war, um ihre immer noch kräftigen, doch wohl geformten Beine zur Schau zu stellen. Sie streckte einen Arm mit einem Diktafon aus, vorbei an einem Leibwächter, der ihr eine fleischige Hand auf die Schulter legte, um sie zurückzuhalten.
»Nimm die Pfote weg, Kleiner, oder ich verklage dich wegen tätlicher Beleidigung.« In ihrer heiseren Stimme waren Ruhe und Drohung genau abgewogen. Die Hand wurde zurückgezogen. Eitel wandte sich in ihre Richtung. Wie er hatte sie einen süddeutschen Akzent. Er schlug die Hacken zusammen und neigte kurz und straff den Kopf.
»Gnädige Frau, erlauben Sie mir, Ihre Frage zu beantworten. Die Botschaft, die mein Sohn überbringt - nämlich die Botschaft des Hamburger Volkes - ist ganz einfach: Hamburg hat genug - genug von der Masseneinwanderung, genug von den Drogenhändlern, die unsere Kinder vergiften, genug von der um sich greifenden Kriminalität, genug von den Ausländern, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen, unsere Kultur untergraben und Hamburg, genauso wie unsere anderen schönen deutschen Städte, in Senkgruben des Verbrechens, der Prostitution und der Sucht verwandeln.«
»Sie machen also die Ausländer dafür verantwortlich?«
»Worauf ich hinauswill, gnädige Frau, ist die Tatsache, dass das Experiment des ›Multikulturalismus‹, das die Sozis so angepriesen haben, gescheitert ist. Leider müssen wir jetzt mit diesem Scheitern leben.« Eitel straffte den Rücken, schaute vom Empfang über die Köpfe seiner Leibwächter hinweg und machte seine Antwort zu einer halb öffentlichen Ansprache. »Wie lange können wir diesen unaufhörlichen Angriff auf das Leben anständiger Deutscher noch aushalten? Das gesamte Gefüge unserer Gesellschaft zerbröckelt. Niemand fühlt sich noch sicher und ungefährdet.«
Eitel wandte sich wieder der Journalistin zu und lächelte. Unter ihrem dichten kastanienbraunen Haar lagen energische Gesichtszüge, große, durchdringende grüne Augen, ein breiter Mund, auf den sie zinnoberroten Lippenstift aufgetragen hatte, und ein kräftiger Kiefer. Sie erwiderte sein Lächeln nicht.
»Herr Eitel, die Zeitung Ihres Sohnes steht in dem Ruf, bei der Behandlung komplexer politischer Themen sensationssüchtig und manchmal auch, vorsichtig gesagt, ein wenig eindimensional zu sein. Könnte dies auch den politischen Standpunkt des Bundes Deutschland für Deutsche beschreiben?«
Die Frage schien Eitels guten Willen schlagartig absterben zu lassen. Sein Lächeln blieb unverändert, doch seine schmale Oberlippe verzog sich unwirsch. »Es gibt komplexe Fragen, und es gibt einfache Fragen. Die Zerstörung unserer Gesellschaft durch äußere Elemente ist eine einfache Frage mit einer genauso einfachen Lösung.«
»Meinen Sie damit Repatriierung? Oder vielleicht eine ›Endlösung‹?«, fragte der andere Journalist. Eitel ignorierte ihn und wandte seinen bohrenden Blick nicht von der Frau ab.
»Eine gute Frage, Herr Eitel. Möchten Sie nicht darauf antworten?« Die Journalistin fuhr fort, bevor er zu einer Erwiderung hätte ansetzen können: »Oder möchten Sie lieber erklären, warum der Eitel-Konzern, obwohl Sie und Ihr Sohn so starke Gefühle gegenüber Ausländern hegen, hier in Hamburg mit Osteuropäern über Immobiliengeschäfte verhandelt?«
Eine Sekundenbruchteil lang wirkte Eitel verblüfft. Etwas Dunkles und Boshaftes blitzte aus seinen Augen.
Plötzlich tauchte eine weitere Gruppe im Foyer auf. Kleiner, würdevoller. Weniger Leibwächter und ein eher geschäftsmäßiges Verhalten. Eitel wandte sich den Neuankömmlingen zu, ohne die Frage zu beantworten.
»Papa!« Ein untersetzter Mann von knapp über einen Meter siebzig, mit einem dunklen Haarschopf und einem sympathischen, zu einem breiten Lächeln verzogenen Gesicht, schritt auf Eitel zu. Er schüttelte enthusiastisch dessen Hand und packte seine Schulter.
»Und hier ist mein Sohn, gnädige Frau. Norbert Eitel, der nächste Bürgermeister von
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