Jan Fabel 01 - Blutadler
Anhänger gibt, die diesen Kult praktizieren?«
MacSwain rieb sich das Kinn. »Sie verdächtigen Asatru-Anbeter, die Morde begangen zu haben? Das sind doch meist harmlose New-Age-Typen, die sich auf Baldur konzentrieren.« MacSwain las die Frage an Fabels Miene ab. »Eine christusähnliche Gestalt aus dem Asen-Göttergeschlecht. Eine politisch korrekte Wikinger-Gottheit. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich glaube, dass es einen solchen Kult gibt. Die Mitglieder nennen sich Tempel des Asatru und treffen sich dem Vernehmen nach in einem alten Lagerhaus in Billstedt. Wo genau es ist, weiß ich allerdings nicht.«
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr. MacSwain«, sagte Fabel auf Englisch und erhob sich vom Sofa.
Fabel starrte mit leerem Blick auf die Türen des Lifts, der sie hinunter ins Foyer des Gebäudes beförderte, in dem MacSwains Wohnung lag.
»Irgendetwas an dem Burschen ist faul. Vielleicht hat er nichts mit diesen Morden zu tun, aber jedenfalls schien es ihn überhaupt nicht zu überraschen, dass die Hamburger Kripo an seine Tür geklopft hat.«
»Manchmal glaube ich, dass die halbe Bevölkerung von Hamburg etwas zu verbergen hat«, antwortete Werner.
»Ich möchte, dass MacSwain beobachtet wird. Und ich möchte, dass wir möglichst vollständige Daten zu seiner Lebensgeschichte zusammenstellen.«
»Können wir den Personalaufwand rechtfertigen, ihn rund um die Uhr observieren zu lassen? Schließlich hast du nur einen Verdacht. Aber ich stimme dir zu. Er war viel zu gelassen.«
»Leite das Ganze in die Wege, Werner. Ich werde die Erlaubnis von van Heiden einholen.«
Hamburg-Harburg,
Freitag, den 13. Juni, 23.00 Uhr
Das leere Schwimmbecken wurde durch die helle Mondscheibe, umrahmt von dem großen Dachfenster, erleuchtet. Es war das einzige Fenster, das die Vandalen wegen seiner Unzugänglichkeit nicht hatten zertrümmern können. Der Strahl der Taschenlampe strich über die zerbrochenen Fliesen und die Wände des Beckens. Es wurde seit Jahren nicht mehr benutzt. Ein als fröhliche Verzierung gedachtes Wandbild, das hellblaue Delfine und neben ihnen mit Schwimmringen im Wasser planschende Kinder zeigte, war unter dem Schmutz und den Graffiti kaum noch zu erkennen. Sämtliche Fenster an der entlegeneren Seite waren eingeschlagen worden, und das seit langem trocken gelegte Becken war mit Abfall und Dreck übersät. Überall lagen benutzte Spritzen herum. Jemand hatte sogar einen Kothaufen in der Ecke hinterlassen.
»Das hier war früher eine anständige Arbeitergegend«, sagte der Mann an der gegenüberliegenden Seite des Schwimmbeckens und blickte durch die zerbrochene Verglasung nach draußen. Er richtete eine Taschenlampe auf einen Doppeleingang, der nur noch eine einzige Tür aufwies. »Sieh nach, ob jemand hier ist.« Der jüngere Mann trat an den Eingang und beleuchtete die einstigen Umkleideräume mit seiner Taschenlampe.
»Keiner da.«
Der Ältere sinnierte weiter: »Früher bin ich mit einem Mädchen gegangen, das nur einen Häuserblock entfernt von hier gewohnt hat. Manchmal kamen wir sogar zum Schwimmen her.« Er schien die Vergangenheit zu rekonstruieren, aber dann zwang er sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Er schaute zu dem Jüngeren hinüber, der nun seine Pistole an den von einem groben Sack bedeckten Kopf einer Gestalt hielt, die mit auf den Rücken gefesselten Händen am Rand des Schwimmbeckens kniete. Der Ältere atmete tief durch. Seine Stimme ließ weder Zorn noch Bosheit noch Aufregung erkennen.
»Töte ihn.«
Die kniende Gestalt schrie: »Nein!«, doch sie wurde vom Puffen der schallgedämpften Automatik zum Schweigen gebracht, kippte um und stürzte ins Becken.
»Eine anständige Gegend ...«, sagte der ältere Mann und ging zur Tür.
Cuxhaven, Samstag,
14. Juni, 11.00 Uhr
Es hatte fast zwei Stunden gedauert, Cuxhaven zu erreichen, aber die Fahrt war angenehm gewesen. An diesem hellen, sanft-warmen Tag hatte Fabel im Auto endlich eine Gelegenheit gehabt, sich mit Susanne zu unterhalten, die nur zu froh über die Chance eines Tapetenwechsels gewesen war. Außerdem hatte er ihre Verabredung zum Essen bestätigen können. Sie gingen nun lockerer miteinander um, und zwischen ihnen bestand eine unausgesprochene Vertrautheit.
Fabel machte unterwegs nur einmal Halt: an der Raststätte am Außendeich, die Sülberg am Telefon beschrieben hatte. Eine dichte Baumgruppe schirmte die Raststätte von der Straße und vom Wind ab, der über die
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