Jan Fabel 01 - Blutadler
und Feldherr, sondern er erfüllte auch sämtliche Kriterien eines wahnsinnigen Mörders. In vieler Hinsicht entsprach er dem Profil des klassischen Serientäters: Er war ein scheues, stilles, sensibles Kind, das sehr früh misshandelt wurde. Die Folge war, dass er in seiner Kindheit kleine Tiere folterte und tötete. Mit dreizehn Jahren brachte er zum ersten Mal einen Menschen um. Danach beging er zahllose Vergewaltigungen, Morde und unglaubliche Folterungen. Zum Beispiel ließ er seine Opfer braten, kochen, aufspießen oder an wilde Tiere verfuttern. Iwan beging persönlich Tausende von Vergewaltigungen und Hunderte von Morden.« Brauner nickte in Richtung des Nachbarzimmers. »Er hatte sogar eine ähnliche Vorliebe für Rituale. Seine persönliche Leibwache, die Opritschnina, begriff sich als eine Art heiliger Orden mit ihm selbst als Vorsteher. Sie vergewaltigte, folterte und verstümmelte Opfer in einer Form, als wären diese Untaten Teil der russisch-orthodoxen Messe.«
»Worauf willst du hinaus, Holger?«
»Einfach darauf, dass Iwan offenkundig ein Psychopath war. Mehr noch, ein Soziopath, dem jegliches Einfühlungsvermögen in seine Opfer fehlte. Aber er war auch ein äußerst intelligenter Mann, und seine schlimmsten Verbrechen wurden in einem wohl durchdachten Zusammenhang begangen. Er benutzte seinen Wahnsinn als Werkzeug, um Terror zu erzeugen und um seine Kontrolle über den Staat und das Volk zu festigen. Vor allem will ich darauf hinaus, dass Iwans soziopathisches Verhalten kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck war. Er setzte seinen Wahn als strategisches Instrument zur Erreichung seiner Ziele ein.«
»Und du glaubst, dieser Mann handelt genauso, wenn auch in kleinerem Maßstab?«, fragte Fabel. Alles, was Brauner gesagt hatte, stimmte mit seinen Vermutungen nach dem zweiten Mord überein.
»Ja. Und außerdem meine ich, dass der Mörder seinen Wahnsinn zur Schau trägt. Er möchte, dass du seine Taten für willkürliche Akte hältst, damit er seine Absichten verbergen kann.«
»Und was sind seine Absichten?« Maria betrachtete die Oberfläche des Kaffeetisches mit einem Stirnrunzeln, als versuche sie, die verschwundenen Gegenstände ausfindig zu machen. »Er ermordet eine Journalistin und stiehlt anscheinend einige ihrer Papiere.«
»Papiere, die sich auf einen ihrer aktuellen Artikel bezogen und die sie auf dem Tisch ausgebreitet hatte«, setzte Werner hinzu.
»Wer die Journalistin tötet, tötet auch ihren Artikel?« Maria blickte zu Fabel auf.
»Könnte sein. Aber es passt nicht zu den anderen Morden. An einer Prostituierten und einer Anwältin.«
»Vielleicht doch«, sagte Werner. »Bloß sehen wir die Verbindung noch nicht. Schließlich wissen wir so gut wie nichts über die tote Prostituierte. Sie könnte etwas mit dem Thema zu tun gehabt haben, über das Angelika Blüm recherchiert hat. Ob es um einen Sexskandal ging?«
»Angelika Blüm war keine Boulevardjournalistin, aber ein Sexskandal im Bereich der Politik hätte sie vielleicht interessiert.« Fabel rieb sich frustriert das Kinn, als könne er dadurch sein Gehirn stimulieren. »Wir müssen einfach herausfinden, wer ›Monique‹ war, und wir sollten zum Fall Kastner zurückkehren. Wir müssen einen genaueren Blick auf ihre persönlichen Papiere werfen. Und wir haben uns nicht mit ihrem Berufsleben befasst, weil wir den Mord für zufällig hielten. All dem müssen wir nachgehen. Maria, könntest du damit anfangen? Ich weiß, du kümmerst dich um die Identität des zweiten Opfers, aber ich möchte, dass du diese Sache zusätzlich übernimmst.«
»Sicher, Chef«, antwortete Maria ohne große Begeisterung. Fabel hatte erwartet, dass Werner erleichtert aussehen würde, weil der Kelch an ihm vorübergegangen war. Aber das war nicht der Fall. Fabel wusste, dass Werner sich ärgerte, wenn Maria so viel Verantwortung übertragen wurde, aber im Moment hatte er keine Zeit für eine vorbildliche Menschenführung.
»Werner, ich möchte, dass du Angelika Blüms beruflichen Kontakten nachgehst. Versuche herauszufinden, woran sie gerade gearbeitet hat. Aber zunächst sollten wir feststellen, ob noch jemand einen Blick auf unseren geheimnisvollen Besucher geworfen hat.«
Brauner warf ein: »Jan, übrigens haben wir einen zweiten Satz Fingerabdrücke gefunden.«
»Tatsächlich?« Fabel hob die Augenbrauen.
»Mach dir bloß keine großen Hoffnungen. Sie sind überall, einige neu, einige recht alt und schwer
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