Jan Fabel 01 - Blutadler
könnte, aber die Frau kennt ihn vom Sehen und ist sich sicher, dass er es nicht war. Außerdem hat sie ja beobachtet, wie der Verdächtige auf eine der Wohnungsklingeln drückte, also dürfte er keiner der Bewohner sein. Wir müssen noch ein paar Wohnungen überprüfen, denn manche sind zurzeit leer. Aber bis jetzt bestreiten alle, einen Besucher, auf den die Beschreibung passt, empfangen zu haben.«
»Hat jemand ihn das Haus verlassen sehen?«
»Nein. Und niemand hat Geräusche eines Kampfes oder Hilferufe gehört. Es ist ein ziemlich solides Gebäude, aber trotzdem müsste doch jemand etwas gehört haben.«
»Lass dich durch das Chaos da drin nicht täuschen, Werner. Dieser Bursche ist eiskalt und überlegt sich alles bis in die letzte Einzelheit. Wir werden auf die vollständige Autopsie warten, aber nach dem Zustand ihres Hinterkopfs zu schließen, war sie tot oder fast tot, bevor sie auf dem Fußboden aufschlug. Der Dreckskerl gab sich wahrscheinlich als Polizist aus, wohl als mich, und ließ sie vorangehen. Während sie ihm den Rücken zudreht, schlägt er ihr von hinten den Schädel ein. Danach hat er alle Zeit der Welt, seine kleine Werkzeugsammlung auszupacken und sich an die Arbeit zu machen.«
Werner strich sich über die Stoppeln auf der Kopfhaut. »Der Kerl ist unheimlich, Jan. Er scheint sich nie einen Fehler zu leisten. Außer heute Nacht. Er hat die Straße nicht gründlich genug überprüft. Aber auch das hat nur zu einer kurzen Sichtung aus der Ferne geführt.«
»Mal abwarten, was Brauner und Möller sagen.« Fabel klopfte Werner ermunternd auf die fleischige Schulter. »Vielleicht hatte er heute einen schlechten Tag.«
Fabel ging zurück in das Arbeitszimmer, wo Möller immer noch neben der Leiche stand und Notizen auf ein Klemmbrett schrieb. Er wandte sich an die beiden mit Overalls bekleideten Techniker. »Wenn der Fotograf fertig ist, könnt ihr die Tote zur Gerichtsmedizin bringen.« Während Dr. Möller sprach, nickte er Fabel zu. Er schien seine schroffe Art abgelegt zu haben und hatte einen geradezu kummervollen Blick in den Augen. Dieser Kerl setzt allen zu, dachte Fabel.
»Wahrscheinlich brauchen Sie meine professionelle Meinung nicht, um zu erkennen, dass dies der gleiche Modus ist wie in den beiden letzten Fällen.«
»Nein«, sagte Fabel. »Er hat mir eine E-Mail von dem Computer dort drüben geschickt.«
Möller schüttelte den Kopf. »Jedenfalls kann ich Ihnen offiziell mitteilen, dass es sich nach meiner Ansicht mit absoluter Sicherheit um die Arbeit derselben Person oder Personen handelt. Natürlich erhalten Sie einen vollständigen Bericht, wenn ich eine komplette Autopsie vorgenommen habe. Sehen Sie sich das hier an ...« Der Mediziner beugte sich vor und zeigte mit seinem Kugelschreiber auf den Rand, wo das Fleisch aufgeschnitten und die Rippen herausgerissen worden waren. Fabel beugte sich ebenfalls vor. Er hätte in einem Schlachterladen sein können. Konzentrier dich, sagte er sich immer wieder, konzentrier dich, sieh dir nicht die Person, sondern das Detail an. Trotzdem fiel es ihm schwer, die Übelkeit zurückzudrängen.
»Wissen Sie, wo unser Freund einen kleinen Fehler gemacht hat?«
Mit seinem Stift folgte Dr. Möller einer tiefen gezackten Linie, die in einem Winkel von dem Hauptschnitt fortführte. »Man kann die Gestalt der Klinge erkennen. Es ist eine breite, schwere Klinge, die zu einem Kurzschwert oder einem sehr wuchtigen Jagdmesser gehören könnte. Während der Autopsie werde ich ein paar Aufnahmen davon machen.«
Fabel atmete langsam ein, bevor er fragte: »Ist das die einzige Abweichung von den Hauptschnitten?«
Möller kratzte sich den ergrauenden Bart. »Ja. Das ist der entscheidende Punkt. Es war kein wahnsinniger Angriff, sondern er nahm sich Zeit.« Der Gerichtsmediziner zeigte auf Angelika Blüms Hinterkopf.
»Wieder der tödliche oder fast tödliche Schlag an den Hinterschädel, wieder mit einem sehr schweren Instrument, das einen kugelförmigen Eindruck hinterlässt, wieder die Zergliederung, um die Lunge zu erreichen und seine kleine ... Erkennungsmarke, wie man sagen könnte, zu hinterlassen.«
»Eine teuflische Erkennungsmarke«, meinte Fabel.
Möller antwortete nicht sofort. Er hatte sich gebückt und richtete sich nun mit einem Stöhnen auf. Während er auf die Leiche hinunterschaute, schien er sie nicht zu sehen, sondern hinter sie zu blicken. »Die Körperkraft dieses Mannes muss, vorsichtig ausgedrückt, beträchtlich sein. Um
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