Jan Fabel 01 - Blutadler
»Odinistenkult?«, mit »Blutadler« verknüpft.
Auf dem Tisch vor Fabel lag die Fallakte, der sein Bericht über Professor Dorns Mitteilung sowie die vorläufigen Spurensicherungs- und gerichtsmedizinischen Berichte über den Mord an Angelika Blüm hinzugefügt worden waren. Klugmanns Handy, das in Sonjas Wohnung geborgen worden war, lag in einem Verwahrbeutel aus Plastik auf der Akte. Die wichtigsten Mitglieder der Mordkommission, abgesehen von Maria Klee, waren nun um den Kirschholztisch versammelt: Fabel, Werner Meyer, Anna Wolff und Paul Lindemann. Es ärgerte Fabel, dass Maria nicht erschienen war.
»Sie muss noch etwas abschließen«, erklärte Werner. »Aber es wird nicht lange dauern.«
Neben dem Hauptteam der Mordkommission war ein halbes Dutzend weiterer Kriminalbeamter zugegen, die van Heiden zu Fabels Unterstützung herangezogen hatte. Auch Susanne Eckhardt war von Fabel telefonisch gebeten worden, sich der Besprechung anzuschließen. Am Ende des Tisches saß van Heiden mit ausdrucksloser Miene, während Fabel sein Gespräch mit Dorn in groben Zügen wiedergab.
Als Fabel geendet hatte, ergriff Susanne als Erste das Wort. »Sicher, Herr Professor Dorn kann auf seine Fachkenntnisse als Historiker zurückgreifen, aber warum betätigt er sich als Amateurpsychologe? Er meint nicht nur, dass die Verfahrensweise an einen Opferritus erinnert, sondern er scheint daraus auch ein Profil des Mörders abgeleitet zu haben.«
»Professor Dorn arbeitet seit vielen Jahren mit Sträflingen«, erläuterte Fabel.
»Aber das qualifiziert ihn kaum ...«
Fabel drehte sich um und schaute Susanne fest in die Augen. Seine Stimme hatte einen stählernen Beiklang, als er ihr entgegnete: »Dorn war mein Professor für Europäische Geschichte. Seine Tochter Hanna wurde entführt, gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Vor ungefähr zwanzig Jahren. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt. Ich glaube, Professor Dorn hat ein ...« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Ein intensiveres Verständnis für Morde als wir.«
Fabel verschwieg, dass Hanna Dorn damals seine Freundin gewesen war. Sie hatten einander erst seit zwei Wochen gekannt und befanden sich noch an der Schwelle zwischen Verlegenheit und Vertrautheit, als ein unscheinbarer dreißigjähriger Krankenpfleger namens Lutger Voss sie auf der Straße ergriffen hatte, während sie nach einer Verabredung mit Fabel auf dem Heimweg war. Die Polizei hatte Fabel gefragt, warum er sie nicht nach Hause begleitet habe. Er selbst hatte sich immer wieder dieselbe Frage gestellt, und die Tatsache, dass er ein Referat abschließen musste, war ihm nie als hinreichende Antwort erschienen. Fabel hatte sein Abschlussexamen vor dem Prozess gemacht und war unmittelbar nach der Verhandlung in die Polizei Hamburg eingetreten.
Van Heiden durchbrach das unbehagliche Schweigen. »Wie wahrscheinlich ist das alles, Frau Doktor? Meinen Sie, dieser Psychopath glaubt an den ›Blutadler‹-Unsinn?«
»Das ist möglich. Auf jeden Fall. Und es würde die religiöse Note der E-Mail erklären. Aber wenn es stimmt, dann haben wir es mit einer viel komplizierteren Form der Psychopathie zu tun. Ich würde meinen, dass er alles sehr gründlich und lange im Voraus plant und so wenig wie möglich dem Zufall überlässt.«
Fabel warf den Bleistift, den er zwischen den Fingern gedreht hatte, seufzend auf den Tisch. »Und dann ist es noch unwahrscheinlicher, dass er einen Fehler begehen und uns einen Anhaltspunkt liefern wird. Ein religiöses Motiv bedeutet auch, wie wir bereits vermutet haben, dass er auf einer Art Kreuzzug sein könnte - es sei denn, das alles ist ein bewusst inszenierter Nebelschleier. Oder wenigstens teilweise ein Nebelschleier.«
»Was soll das heißen?«, fragte Susanne.
»Das weiß ich auch nicht genau. Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Täter an diesen Blödsinn glaubt. Aber vielleicht wird er von etwas anderem angetrieben. Vielleicht verbirgt er ein Motiv, das wir nicht kennen. Warum hat er alle Dateien auf Angelika Blüms Computer gelöscht? Und warum hat er Unterlagen gestohlen? Ich bin nicht der Einzige, der diese Möglichkeit erwägt.« Fabel fasste Holger Brauners Vermutungen kurz zusammen.
»Frau Doktor?« Van Heiden wollte eine Reaktion auf Fabels Statement hören.
Susanne runzelte die Stirn. »Das ist nicht ausgeschlossen. Menschen mit einem Mordmotiv wandeln es häufig ab, damit es zu einem anderen Vorhaben passt.« Sie blickte wieder Fabel an. »Also hat er vielleicht
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