Jan Fabel 01 - Blutadler
mich so professionell ausschalten konnte. Dazu braucht man eine ganz besondere Ausbildung.«
Werner streckte die Beine aus und ließ die Füße auf den Stahlstäben unter Fabels Bett ruhen. »Ihr beide vermutet ja, dass er Ausländer ist, vielleicht Russe. Wenn er so ein geschickter Kämpfer ist, könnte er dann nicht zum Top-Team gehören, der ukrainischen Bande, von der Volker gesprochen hat?«
»Schon möglich.« Fabel öffnete noch immer nicht die Augen. »Alles an ihm deutet auf die sowjetischen Spezialtruppen hin. Aber warum bloß hat er seine Arbeit nicht zu Ende geführt?«
»Es macht viel Aufsehen, einen Hamburger Polizisten zu töten«, erwiderte Werner. »Klugmann ist eine Sache, aber nach der Ermordung eines Hauptkommissars würde er keinen Unterschlupf mehr finden.«
»Wer er auch ist und was er auch in der Wohnung zu suchen hatte«, setzte Maria hinzu, »nun hält ganz Hamburg nach ihm Ausschau.«
Fabel setzte sich langsam auf, und die Anstrengung verzerrte seine Stimme. »Ich bin mir nicht sicher, dass er so leicht zu finden sein wird, Maria. Was ist mit MacSwain? Haben wir ihn unter intensiver Observation?«
»Paul und Anna sitzen ihm auf der Pelle«, antwortete Werner. »Sie sind meistens dort, selbst wenn andere Schicht haben. Wahrscheinlich haben sie Angst vor noch so einem Schlamassel wie bei Klugmanns Überwachung.«
»Gut. Ich werde morgen entlassen, und dann können wir alles durchgehen. Bis dahin gebt mir Bescheid, wenn etwas passiert.«
»In Ordnung, Chef«, sagte Werner.
Fabel schloss die Augen, schaute zu Maria hinüber und deutete mit dem Kinn auf die Tür.
Maria nickte und erhob sich vom Bett. »Bis später, Chef.«
Fabel verbrachte den Tag damit, aus dem Fenster zu schauen, von einem Fernsehsender zum anderen zu zappen und zu schlafen. Er wurde sich einer wachsenden Steifheit am Hals und einer empfindlichen Stelle unter dem Kiefer bewusst, wo der Daumen des Slawen die Blutzufuhr zu seinem Gehirn unterbunden hatte.
Am Nachmittag eilte Susanne herein und begann sofort, Fabel zu untersuchen. Sie schob seine Augenlider mit dem Daumen zurück, musterte ein Auge nach dem anderen und drehte seinen Kopf in den Händen, um die Beweglichkeit seines Halses zu prüfen.
»Wenn du das für ein Vorspiel hältst«, sagte Fabel grinsend, »muss ich dir mitteilen, dass es bei mir nichts ausrichtet.«
Susanne war nicht zum Scherzen aufgelegt. Fabel merkte, dass sie erschüttert war, und das rührte ihn. Sie blieb zwei Stunden lang an seinem Bett sitzen und hielt seine Hand. Manchmal sprach und manchmal schwieg sie, während Fabel döste. Als eine Krankenschwester hereinkam, um sie hinauszubitten, war Fabel erstaunt über die Autorität, mit der Susanne sie fortschickte. Sie blieb bis nach achtzehn Uhr und kehrte am Abend für eine weitere Stunde zurück. Um halb zehn wurde Fabel von einem tiefen, undurchdringlichen, traumlosen Schlaf übermannt.
Hamburg-Harvestehude,
Dienstag, den 17. Juni, 20.30 Uhr
Anna Wolff hätte Sekretärin, Friseurin oder Kindergärtnerin sein können. Sie war zierlich und lebhaft und hatte ein hübsches rundes Gesicht, das unablässig Energie ausstrahlte. Ihr übliches Make-up bestand aus dunklem Lidschatten, Wimperntusche und feuerrotem Lippenstift. Ihr kurzes Haar war rabenschwarz und entweder glatt zurückgebürstet oder mit Gel stachelig hochgezogen. Und ihr jugendliches Aussehen brachte jeden Beobachter endgültig von der Schlussfolgerung ab, sie könne Kriminalkommissarin sein. Anna war siebenundzwanzig Jahre alt, doch man hätte sie für eine Achtzehn- oder Neunzehnjährige halten können.
Paul Lindemann dagegen hätte nichts anderes als Polizist sein können. Sein Vater war, wie der von Werner Meyer, bei der Wasserschutzpolizei gewesen und hatte das Hamburger System aus Wasserläufen, Kanälen, Häfen und Kais regelmäßig mit dem Boot abpatrouilliert. Paul war einer jener Norddeutschen, die Fabel als »geschniegelte Lutheraner« bezeichnete: saubere, gepflegte, asketische Menschen, denen es oft schwer fiel, Änderungen zu akzeptieren. Paul Lindemann hatte mehr oder weniger das gleiche Aussehen, wie er es im selben Alter in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren gehabt hätte.
Fabel ließ Anna und Paul in der Regel zusammenarbeiten. Sie waren unterschiedlich wie Tag und Nacht, aber Fabel stellte stets Teams aus Menschen mit gegensätzlichen Standpunkten zusammen, denn dadurch waren sie eher in der Lage, das ganze Bild zu sehen. Anna und Paul
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