Jan Fabel 01 - Blutadler
waren ein besonders seltsames Paar, und monatelang hatten beide die erzwungene Partnerschaft kaum ertragen können. Inzwischen jedoch arbeiteten sie mit einem tiefen gegenseitigen Respekt zusammen und wussten ihre einander ergänzenden Fähigkeiten zu schätzen. Diese Art Erfolg hatte sich Fabel auch für Maria und Werner erhofft, doch die beiden hatten ihr Potenzial als Team nie verwirklicht.
Heute Abend fühlten sich Anna und Paul besonders angespannt. Fabel war nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr Mentor und hatte ihnen durch die Aufnahme in die Mordkommission hohe Ziele für ihre künftige Karriere gesteckt. Er war ihnen unverletzbar vorgekommen, doch nun lag er im Krankenhaus St. Georg. Sie hätten sich viel lieber auf die Suche nach Fabels Angreifer gemacht, als einem britischen Yuppie auf den Fersen zu bleiben.
An der Ecke von MacSwains Straße stand eine Zeitungs- und Zigarettenbude. Hinter dem Tresen brodelte eine Kaffeemaschine, und draußen befanden sich die üblichen ellbogenhohen Tische aus poliertem Aluminium für die Kunden. Anna stand an einem der vier Tische, von dem aus sie einen unverstellten Blick auf die Kreuzung, auf MacSwains Wohngebäude und auf die Ausfahrt aus der Tiefgarage hatte. Wenn jemand zu Fuß oder mit dem Auto herauskam, konnte Anna dessen Richtung an Paul funken, der weiter entfernt am Block parkte und das Blickfeld von dort nutzte. Nun war es dunkel, und Anna trank ihren dritten Kaffee, der möglichst lange vorhalten sollte. Ein vierter hätte eine nervöse, schlaflose Nacht bedeutet. Der mürrische, übergewichtige Budenbesitzer nahm ihre Anwesenheit kaum zur Kenntnis, aber als drei Skinheads in ihrer Uniform aus feldgrünen Bomberjacken herankamen, um Zigaretten zu kaufen, murmelte er ihnen etwas zu und nickte in Annas Richtung. Dann brachen alle in grobes Gelächter aus. Anna wandte den Blick nicht von dem Wohngebäude ab. Die drei Skinheads näherten sich ihrem Tisch, einer an der einen und zwei an der anderen Seite.
Ein großer, stiernackiger Junge mit pickeliger Haut beugte sich vor.
»Was ist los, Schätzchen, wartest wohl auf 'nen Kerl?«
Anna schaute ihn nicht an und schwieg. Der stiernackige Skinhead zwinkerte seinen Kameraden zu und lachte. »Bei mir brauchst du nicht lange zu warten, Baby.«
»Was, auf deine zehn Zentimeter?«, fragte Anna seufzend und gönnte den Skinheads noch immer keinen Blick. Die beiden Kumpel des Stiernackigen wieherten vor Lachen und wedelten spöttisch mit dem Zeigefinger. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. Er trat auf Anna zu, ließ die Hand unter ihre Lederjacke gleiten und packte ihre Brust.
»Vielleicht werden wir gleich sehen, wie viel von mir du wegstecken kannst.«
Es geschah so schnell, dass der Stiernackige es kaum wahrnahm. Anna wirbelte herum, bis sie dem Skinhead wieder gegenüberstand, und seine Hand schien von der Zentrifugalkraft fortgerissen zu werden. Dann griff ihre linke Hand blitzschnell nach der Leiste des Skinheads, während ihr rechter Ellbogen an seine Wange knallte. Mit einer nahtlosen Bewegung schob sich Annas rechte Hand unter ihre Jacke und stieß ihm ihre SIG-Sauer Automatik ins Gesicht. Mit aller Wucht. Sie drängte ihn zurück, sodass er mit seinen stolpernden Füßen keinen Halt bekam und gegen den Tresen der Bude knallte. Dann verformte sie seine Nase mit ihrer Pistolenmündung und drehte das Metall beim Sprechen.
»Willst du Anna vernaschen?«, fragte sie mit einer koketten Stimme, neigte den Kopf hin und her und schürzte die Lippen. Der Stiernackige starrte sie mit entsetzten Augen an und versuchte, das Ausmaß ihres Wahnsinns und der ihm damit drohenden Gefahr an ihrem Gesicht abzulesen. Anna riss die Pistole herum und richtete sie mit ausgestrecktem stocksteifem Arm auf die beiden anderen Skinheads.
»Was ist mit euch, Jungs? Wollt ihr Anna auch vernaschen?«
Die Gefährten des Stiernackigen hoben die Hände und wichen ein paar Schritte zurück, bevor sie davonrannten. Anna wandte sich wieder dem Stiernackigen zu, rammte ihm die Mündung erneut in die Nase und drehte die Pistole spielerisch hin und her. Sein Gesicht wurde von dem Blut verschmiert, das aus seiner Nase zu tröpfeln begann. Anna setzte eine mädchenhafte, enttäuschte Miene auf. »Die wollen Anna nicht vernaschen.« Die kindliche Stimme war plötzlich nicht mehr zu hören. »Wie ist es mit dir, Kurzschwanz?« Der Skinhead schüttelte heftig den Kopf. Annas Augen verengten sich und wurden dunkel. »Wenn ich je höre,
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