Jan Fabel 01 - Blutadler
der israelischen Armee noch verstärkt hatte.
Der Himmel hatte nun eine samtblaue Tönung angenommen. Paul richtete den Blick auf den silbernen Porsche. MacSwain führte sie hinaus in die Hallerstraße. Die Grindelhochhäuser ragten in die Dunkelheit empor. Es hätte sich um eine Siedlung in London, Birmingham oder Glasgow handeln können. Die Häuser waren kurz nach dem Krieg für die Soldaten der britischen Besatzungsmacht gebaut worden. Als die Briten ihr Hauptquartier nach Frankfurt verlegten, übergaben sie die Gebäude dem öffentlichen Wohnungsbau. Inzwischen lebten in den Grindelhochhäusern hauptsächlich Einwandererfamilien. Es hieß, dass ukrainische Banden in diesem Betondschungel die Herrschaft ausübten.
MacSwain überquerte den Schlump, fuhr am Sternschanzenpark vorbei und bog in die Schanzenstraße ein.
»Er will nach St. Pauli«, sagte Anna.
»Wo das zweite Opfer gefunden wurde.« Paul warf Anna einen raschen Blick zu. »Aber wahrscheinlich will er sich nur einen fröhlichen Abend machen.«
Fast hat es den Anschein, als schlafe St. Pauli tagsüber und nehme die Sonnenenergie in sich auf. Abends erwacht es dann zu dynamischem Leben. Abgesehen vom Sexgewerbe und von den Musikshows hat es eine der pulsierendsten Clubszenen in Europa zu bieten. Clubs wie The Academy, PAT, Location One und Cult ziehen Besucher aus der ganzen Stadt und ihrer Umgebung an. Sogar montags, wenn die norddeutsche Psyche kaum je auf Vergnügen sinnt, dauert die Party bis zum Morgen.
MacSwain stellte seinen Porsche im Parkhaus am Spielbudenplatz ab. Anna stieg am Eingang aus, um zu warten, bis MacSwain herauskam, während Paul am Eingang gegenüber, vor Schmidt's Tivoli, Stellung bezog. MacSwain kam aus dem Parkhaus hervor. Er war zwanglos, doch teuer gekleidet und bewegte sich mit lässiger Selbstsicherheit. Anna drehte sich um und überquerte die Straße, bevor sie eine Kehrtwendung machte, um ihm zu folgen. Unterdessen schritt Paul auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwa drei Meter hinter MacSwain her.
Der Mann ließ den Spielbudenplatz hinter sich, überquerte die Davidstraße diagonal vor dem Polizeirevier und bog in die Friedrichstraße ein. Anna schloss zu Paul auf und hakte sich bei ihm ein - eine einfache Geste der Vertraulichkeit, die sie sofort zu einem Paar werden ließ. Sie kamen am Albers-Eck mit seinem markanten Eingang vorbei. Eine der Kneipen hielt eine Schlagernacht ab, und die Klänge der enthusiastischen, doch farblosen deutschen Popmusik ergossen sich auf die Straße. MacSwain ging über den Hans-Albers-Platz und betrat einen Tanzclub. Dabei wurde er mit einem Nicken von einem der beiden Türsteher begrüßt, die aussahen, als wären sie allein in der Lage, die deutsche Anabolikabranche am Leben zu halten.
»Mist«, sagte Anna. »Was meinst du?«
Paul sog die Luft zischend durch die Zähne ein. »Ich weiß nicht. Da drinnen ist es bestimmt proppenvoll. Wenn wir reingehen, könnte er wieder draußen sein, bevor wir ihn auch nur ausfindig machen. Und wenn wir hier rumlungern, sind wir viel zu auffällig.« Er warf einen raschen Blick auf den Platz. »Wir könnten ein paar zusätzliche Leute hier draußen aufstellen, aber bis dahin erregen wir Misstrauen, während wir warten. Lass uns lieber reingehen. Wenn wir ihn nicht finden können, treffen wir uns in einer Viertelstunde wieder an der Tür. In Ordnung?«
Anna nickte zustimmend und ging als Erste die Stufen zum Nachtclub hinauf. Einer der riesigen Türsteher musterte ihre Lederjacke und lachte spöttisch. Als sie an ihm vorbeiging, legte er ihr eine Hand auf die linke Schulter, um sie zurückzuhalten. Annas rechte Hand schoss über ihren Körper hinweg und packte den kräftigen Daumen des Rausschmeißers. Er neigte sich zur Seite, und seinem Mund entwich ein langes »Ahhhh«, während er seinen Daumen - erstaunt darüber, dass der sich so weit zurückbiegen ließ - anstarrte.
»Nicht anfassen!«, sagte Anna mit süßer Stimme. Der andere Koloss an der Tür machte einen Schritt nach vorn. Paul trat ihm in den Weg und hielt ihm seine Kripomarke ins Gesicht. Der Mann wich zurück und riss die Tür für Anna auf. Sie ließ den Daumen des ersten Rausschmeißers los, und er umklammerte ihn mit seiner anderen Hand.
»Sie besucht gerade einen Aggressionsbewältigungskurs«, meinte Paul zu dem Türsteher mit dem geschwollenen Daumen und kicherte über seinen eigenen Scherz.
Das dumpfe Pochen des Basses, das sie vor dem Club gehört hatten,
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