Jan Fabel 01 - Blutadler
Unterlagen über Klugmanns und Kramers verdeckte Ermittlung.
Laut der BND-Akte hatten sie den Auftrag gehabt, Informationen über Bandenrivalitäten zu sammeln, vor allem über das Vordringen der Ukrainer in die von Ulugbay kontrollierten Bereiche.
Der Ordner enthielt eine richterliche Abhörgenehmigung für das Festnetztelefon in der Wohnung. Von einer Videoausrüstung oder Wanzen innerhalb der Wohnung selbst war keine Rede. Tina Kramer war die Verbindungsperson gewesen, die Materialien oder Bargeld besorgte und Klugmann vom direkten Kontakt mit den Behörden isolierte. Sie hatte Anweisung, immer wenn sie Kontakt mit Klugmann aufnahm, über Nacht in der Wohnung zu bleiben. Auf diese Weise konnte niemand, der Klugmann beobachtete, Kramer zum BND zurückverfolgen. Ihre eigene Wohnung befand sich in Eimsbüttel, weit genug von St. Pauli entfernt, um zu vermeiden, dass ein Verdächtiger zufällig auf sie stieß, während sie Lebensmittel einkaufte. Ihre Anweisungen für Gegenobservationsmaßnahmen waren vielschichtig. Man hatte vier Safe Houses eingerichtet, und sie sollte wenigstens eines davon nach jedem Kontakt mit Klugmann für mindestens eine Stunde aufsuchen, sobald sie in ihre eigene Wohnung zurückgekehrt war. In den Safe Houses konnte sie auch Materialien und Geld abholen. Wie Klugmann hatte Tina Kramer seit etlichen Monaten das Innere einer Bundesbehörde nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sollte ihr jemand folgen, so würde er annehmen, dass sie Kunden besuchte. Danach schlug sie eine gewundene, durch viele Ausweichmanöver unterbrochene Route nach Eimsbüttel ein. Es musste jeweils eine sehr lange Heimfahrt gewesen sein.
Jeder Schritt, den Tina Kramer machte, und jede Verbindung mit Klugmann waren durch Vorsichtsmaßnahmen abgesichert. Im Grunde fungierte sie lediglich als sein Kurier.
Klugmann selbst konnte auf die meisten dieser Nacht- und Nebelaktionen verzichten. Sein Hauptschutz bestand darin, das ihm verordnete Leben zu führen. Er sollte sich so sehr in seine Identität als kleiner Gauner am Rand des organisierten Verbrechens versenken und sich so radikal von seinen Kontrolloffizieren trennen, dass seine Tarnung undurchdringlich sein würde. Klugmann hatte zwei Rettungsleinen: Tina Kramer und sein Handy. Beide erlaubten ihm nicht nur, mit seinen Vorgesetzten in Kontakt zu bleiben, sondern sie dienten ihm auch als moralische Stütze und stellten eine Verbindung zu seiner wahren Identität und seinen wahren Zielen her.
Fabel stieß auf zahlreiche Einzelheiten über Ulugbays und Waraussows Organisation sowie über andere, nebensächliche kriminelle Interessen. Aber es fehlte an Material über die neue Bande, das so genannte Top-Team, obwohl Volker selbst zugegeben hatte, dass es im Mittelpunkt der Operation stand. Auch die Mitschriften der abgehörten Telefonate aus der Wohnung erbrachten nichts Nennenswertes. Irgendetwas wurde Fabel verschwiegen. Volker hatte ihm die vollständige Geschichte versprochen, doch er hatte gelogen.
Fabel hatte Werner aufgefordert, alle Mitarbeiter zu einer Besprechung ins Hauptbüro der Mordkommission zu rufen. Als er das Zimmer betrat, merkte er, dass die Augen seines Teams auf ihm ruhten. Er richtete sich so gerade auf, wie er konnte, und versuchte, seinen Bewegungen so viel Vitalität wie möglich zu verleihen. Im Büro war ein leises Summen zu hören, und Paul Lindemann telefonierte noch.
Fabel wartete, bis er das Gespräch beendet hatte, und klatschte dann zweimal laut in die Hände. »Gut, Leute, was liegt vor? Maria?«
Maria Klee saß auf der Ecke ihres Schreibtisches. Sie trug eine teure hellblaue Bluse und eine elegante hellgraue Hose. Die schwarze Automatik an ihrer Hüfte schien völlig fehl am Platz zu sein. Maria streckte die Hand nach einem Klemmbrett mit mehreren Notizblättern aus.
»Ich habe ein Mitglied des Asatru-Tempels ausfindig gemacht. Der Mann heißt Björn Jannsen. Er betreibt eine Art New-Age-Geschäft im Schanzenviertel. Außerdem ist er verantwortlich für eine Website über Odinismus oder Asatru oder wie ihr es sonst nennen wollt.«
»Einen Haufen Scheiße«, schlug Werner vor. Eine Welle des Gelächters brach sich an dem Felsen von Marias Geschäftsmäßigkeit.
»Jedenfalls habe ich ihn mit Hilfe der Website gefunden«, fuhr sie fort. »Als ich ihn nach dem Asatru-Tempel fragte, gab er seine Mitgliedschaft offen zu. Anscheinend ist er einer der ›Hohepriester‹. Er behauptet, alles sei völlig legal, und bezeichnet Asatru als
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