Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Videos, DVD s. »Er befahl mir, nie in den Keller zu gehen. Nie diese Truhe zu öffnen, wenn ich gesund bleiben wollte.« Sie schaute Maria flehend an. »Warum hat er das getan? Warum hat er mich bedroht? Das war vorher nie passiert.« Sie deutete mit dem Kinn auf den Inhalt der Truhe. »Oben auf seinem Computer ist noch mehr. Verstehen Sie das? Warum hat er sich so verändert? Wie konnte sich ein freundlicher, liebevoller Mann in eine Bestie verwandeln? So plötzlich? Alle wussten Bescheid. Das machte mich so traurig. Nachbarn und Freunde lächelten und plauderten mit mir, und ich merkte, dass ich ihnen entweder Leid tat oder dass sie versuchten, noch mehr schmutzige Einzelheiten herauszufinden. Nicht, dass wir noch viele Freunde gehabt hätten. Wir verkrachten uns mit allen Ehepaaren, die wir kannten, weil Bernd immer versuchte, sich an die Frauen heranzumachen. Sogar seine Kollegen rissen Witze darüber… und hatten einen Spitznamen für ihn. Seine Kunden anscheinend auch. Ich sage Ihnen, Frau Klee, ich glaube nicht, dass der Mord nichts mit seinem Benehmen in letzter Zeit zu tun hat.«
Ingrid verschloss die Truhe wieder, und sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. Maria fragte nach Bernd Ungerers Aufenthaltsorten in der vergangenen Woche, aber sie musste ständig an die verriegelte Truhe im Keller und das heimliche Leben des Mannes denken. Ohnehin war es schwierig, Einzelheiten in Erfahrung zu bringen, denn Bernd Ungerer war plötzlich offenbar nicht nur ausschweifend, sondern auch verschwiegenund geheimniskrämerisch geworden. Er war abends häufiger ausgegangen, »um Kunden zu bewirten«, und genau das hatte er auch in der Nacht seiner Ermordung vorgeschützt. Als er bis zum Morgen nicht zurückkehrte, war Ingrid verärgert, aber nicht besorgt gewesen, denn er blieb nicht selten über Nacht fort. Sie hatte versteckte Kreditkartenbelege gefunden, diese jedoch ohne Kommentar zurückgelegt. Alle waren für Begleitagenturen, Clubs und Saunen in St. Pauli ausgestellt worden.
»Irgendetwas stimmte nicht mehr mit Bernd«, erklärte Ingrid. »Er wurde ein anderer Mensch. Und es gab auch sonst seltsame Dinge: Manchmal kam er nach Hause und beschwerte sich, weil es angeblich schmutzig roch. Das stimmte nie, aber ich musste das Haus von oben bis unten saubermachen, selbst wenn ich es am selben Tag bereits geputzt hatte, um ihn zufrieden zu stellen. Danach erhielt ich meine ›Belohnung‹, wie er sich ausdrückte. Ich glaubte, dass er eine Art Nervenzusammenbruch hatte, und schlug ihm vor, zu unserem Hausarzt zu gehen. Aber Bernd wollte nichts davon hören.«
»Also haben Sie nie eine professionelle Meinung über sein Verhalten eingeholt?«
»Doch, das habe ich. Ich bin von mir aus zu Herrn Doktor Gärten gegangen und habe ihm die Sache erzählt. Er meinte, es handele sich um eine Krankheit namens Satyriasis… die männliche Form der Nymphomanie. Er machte sich große Sorgen um Bernd und wollte ihn sehen. Aber als ich Bernd sagte, dass ich ohne ihn beim Arzt war, hinter seinem Rücken, wurde die Situation noch unangenehmer .«
Die beiden Frauen saßen eine Weile schweigend da. Dann erläuterte Maria, auf welche Hilfestellungen Ingrid zurückgreifen konnte, und beschrieb das Verfahren der kommenden Tage und Wochen. Schließlich stand sie auf. Als sie die Tür fast erreicht hatte, drehte sie sich um.
»Darf ich Ihnen noch eine letzte Frage stellen, Frau Ungerer?«
Ingrid nickte matt.
»Sie haben gesagt, die Kollegen und Kunden hätten einen Spitznamen für Ihren Mann gehabt. Was für einen?«
Tränen stiegen in Ingrid Ungerers Augen auf. »Blaubart. Das war ihr Spitzname für meinen Mann… Blaubart.«
47.
Krankenhaus Mariahilf, Hamburg-Heimfeld, Montag, den 19. April, 15 Uhr
Die Krankenschwestern waren entzückt. Was für eine wunderbare Idee, eine Riesenschachtel des köstlichsten Gebäcks mitzubringen, das sie beim Kaffee essen konnten. Es sei ein kleines »Dankeschön« an die Oberschwester und das übrige Personal, hatte er erklärt, für die großartige Fürsorge, die sie seiner Mutter hätten angedeihen lassen. Wie nett. Wie aufmerksam.
Er war fast eine halbe Stunde lang beim Stationsarzt, Herrn Dr. Schell, gewesen. Der Arzt ging mit ihm noch einmal die wesentlichen Punkte der Pflege seiner Mutter durch, wenn sie bei ihm zu Hause sein würde. Dr. Schell lag ein Plan der Wohnung vor, die der Sohn eingerichtet hatte, um sie mit seiner kranken Mutter zu teilen. Die Wohnung war mit dem höchsten Komfort
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