Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Rückkehr ins Team wie über Annas. Allerdings kam er sich verantwortungslos vor, weil er zwei verletzten Beamten gestattet hatte, den Dienst vorzeitig wieder anzutreten. Zum Ausgleich plante er, ein paar zusätzliche bezahlte Urlaubstage für Werner und Anna herauszuholen, wenn dieser Fall abgeschlossen war.
Er holte Werner an die Schautafel. Es war frustrierend, die bisherigen Fortschritte – oder den Mangel daran – durchzugehen. Fabel war gezwungen gewesen, den Medienrummel, den Laura von Klosterstadts Ermordung ausgelöst hatte, zu seinem Vorteil zu nutzen: Olsens Bild erschien nun in allen Nachrichtensendungen und Zeitungen mit dem Hinweis, dass die Polizei Hamburg ihn im Zusammenhang mit den Morden suche. Anna und Henk Hermann hatten den Auftrag gehabt, Leo Kranz zu befragen, den Fotografen, der zehn Jahre zuvor ein Verhältnis mit Laura von Klosterstadt gehabt hatte, aber er befand sich im Ausland, um über die angloamerikanische Besetzung des Iraks zu berichten. Seine Redaktion hatte der Polizei mitgeteilt, dass er auch zur Zeit der Morde im Nahen Osten gewesen sei.
Fabel beschrieb sein durch Werner angeregtes Treffen mit Weiss und erklärte, dass auch Fendrich noch zum Kreis der Verdächtigen gehöre.
»Was mich an Fendrich stutzig macht«, sagte Fabel, »ist die Tatsache, dass seine Mutter vor sechs Monaten starb. In ihrem Psychoprofil des Mörders meinte Susanne, der Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Mord könne andeuten, dass zuvor von einer beherrschenden Gestalt eine gewisse Kontrolle über den Mörder ausgeübt wurde, vielleicht von einer Ehefrau oder einer Mutter, die inzwischen gestorben ist.«
»Ich weiß nicht, Jan.« Werner nahm einen Stuhl von dem inder Nähe stehenden Tisch, drehte ihn zur Schautafel um und ließ sich darauf nieder. Sein Gesicht war grau und müde. Zum ersten Mal merkte Fabel, dass Werner älter wurde. »Fendrich ist mindestens zweimal durch die Mühle gedreht worden. Er passt nicht ins Bild. Aber dieser Weiss gefällt mir nicht. Glaubst du, dass wir es wieder mit einem Hohenpriester und seinem Jünger zu tun haben? Weiss zieht die Fäden, und Olsen begeht die Morde? Es wäre ja nicht das erste Mal.«
»Mag sein.« Fabel betrachtete die Schautafel mit all den Bildern, Daten und Verbindungen. »Aber kommt dir Olsen wie jemand vor, der sich durch Märchen oder durch Weiss’ halbgare Literaturtheorien inspirieren lassen würde?«
Werner lachte. »Vielleicht machen wir uns zu viel Mühe. Vielleicht sollten wir einfach nach jemandem suchen, der in einem Lebkuchenhaus wohnt.«
Fabel lächelte grimmig, aber etwas blieb in seinem Gehirn hängen. Ein Lebkuchenhaus. Er zuckte die Achseln. »Du könntest Recht haben. Dass wir uns zu viel Mühe machen, meine ich. Vielleicht ist Olsen unser Mann. Lass uns nur hoffen, dass wir ihn bald erwischen.«
Es war ungefähr fünfzehn Uhr, als sich Fabels Wunsch erfüllte. Ein Wagen der Schutzpolizei meldete, jemand, der Olsens Beschreibung entspreche, sei beobachtet worden, wie er eine Wohnung in einem leerstehenden Häuserblock am Hafen betrat. Die Beamten waren vernünftig genug gewesen, MEK -Fahnder in Zivil anzufordern und das Gebäude von ihnen überwachen zu lassen. Die Meldung schlug bei der Mordkommission wie eine Rakete ein. Fabel musste alle beruhigen, bevor er seine Befehle erteilte.
»Hört zu, Leute. Es ist unser Fang. Ich habe dem MEK -Leiter schon mitgeteilt, dass wir die Verhaftung vornehmen. Wir schnappen ihn. Kein anderer.« Er blickte zu Maria hinüber. Wie immer war ihre Miene schwer zu durchschauen, abersie nickte entschlossen. »Wenn wir dort eintreffen, gehen wir strategisch vor. Ich möchte, dass Olsen auch bei brutalster Gegenwehr am Leben bleibt und eine Aussage machen kann. Ist das klar? Okay, dann los.«
Fabel musste Werner zurückhalten, der bereits seine schwarze Lederjacke angezogen hatte und sich dem übrigen Team anschließen wollte.
»Nur als Beobachter?« Werner lächelte sanft. »Bitte, Jan, der Mistkerl hat mir den Schädel eingeschlagen. Ich möchte wenigstens sehen, wie er verhaftet wird.«
»In Ordnung, aber du bleibst schön im Hintergrund. In diesem Fall ist Maria meine Stellvertreterin.«
Früher war es eine lebendige Gemeinde gewesen. Ein Ort, an den die Hafenarbeiter heimkehrten, an dem Familien wohnten und Kinder spielten. Aber nun war die Gegend unbewohnt und wartete auf die unerbittlichen Kräfte der Stadtentwicklung und Wertsteigerung, die alle früheren Arbeiterbezirke von
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