Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
vermuten,dass der Tod Ihrer Tochter das Werk eines Serienmörders gewesen sein könnte. Eines Psychopathen. Seine perverse Obsession veranlasst ihn, bestimmten Einzelheiten aus dem Leben seiner Opfer – Einzelheiten, die uns als an den Haaren herbeigezogen oder unwesentlich erscheinen mögen – eine besondere Bedeutung zuzumessen.«
Margarethe von Klosterstadt zog eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen fragend hoch, doch Fabel konnte nichts als geduldige Höflichkeit in den eisigen Augen erkennen. Er wartete einen Herzschlag lang, bevor er fortfuhr.
»Ich muss Sie über die Schwangerschaft Ihrer Tochter und die spätere Abtreibung befragen, Frau von Klosterstadt.«
Die geduldige Höflichkeit wich aus den hellblauen Augen. Ein Polarsturm schien tief in ihnen aufzusteigen, brach jedoch noch nicht hervor.
»Was, bitte sehr, veranlasst Sie zu einer so ungebührlichen Fragestellung, Herr Kriminalhauptkommissar?«
»Sie bestreiten also nicht, dass Laura eine Abtreibung hatte?«, hakte Fabel nach. Sie antwortete nicht, sondern schaute ihn nur unverwandt an. »Hören Sie, Frau von Klosterstadt, ich gebe mir alle Mühe, diese Dinge so diskret wie möglich abzuwickeln, und es würde die Dinge erheblich vereinfachen, wenn Sie mir gegenüber offen sein würden. Wenn Sie mich dazu zwingen, werde ich mir alle möglichen Durchsuchungsbefehle besorgen und in Ihren Familienangelegenheiten herumstöbern, bis ich die Wahrheit erfahre. Das wäre, nun ja, unangenehm. Und es könnte an die Öffentlichkeit dringen.«
Der Polarsturm wütete nun hinter Margarethe von Klosterstadts Augen, aber dann legte er sich plötzlich. Ihre Miene, ihre perfekte Haltung und ihre Stimme blieben unverändert, doch sie hatte kapituliert – etwas, das ihr offensichtlich selten widerfuhr. »Es war kurz vor Lauras einundzwanzigstem Geburtstag. Wir schickten sie in die Hammond Clinic. Das ist eine Privatklinik in London.«
»Wie lange vor ihrem Geburtstag?«
»Ungefähr eine Woche.«
»Es war also vor fast genau zehn Jahren?« Fabels Frage war eher an ihn selbst gerichtet. Ein Jahrestag. »Wer war der Vater?«
Sie straffte sich fast unmerklich. Dann glitt ein Lächeln über ihre Lippen. »Ist das wirklich erforderlich, Herr Fabel? Müssen wir wirklich in all diese Einzelheiten vordringen?«
»Leider ja, Frau von Klosterstadt. Sie haben mein Wort, dass ich diskret sein werde.«
»Also gut. Er hieß Kranz und war Fotograf. Genauer gesagt, war er Assistent von Pietro Moldari, dem Modefotografen, der Lauras Karriere einleitete. Damals war er ein Niemand, aber seitdem scheint er ziemlich erfolgreich gewesen zu sein.«
»Leo Kranz?« Fabel konnte den Namen sofort einordnen, aber er brachte ihn nicht mit Modeaufnahmen in Verbindung. Kranz war ein angesehener Fotojournalist, der in den vergangenen fünf Jahren in einigen der gefährlichsten Kriegszonen der Welt gearbeitet hatte.
Margarethe von Klosterstadt sah die Verwirrung in Fabels Miene. »Er hat die Modefotografie aufgegeben und ist zur Presse gegangen.«
»Hatte Laura irgendwelche Kontakte zu ihm? Danach, meine ich.«
»Nein. Ich glaube nicht, dass sie eine besonders starke Beziehung hatten. Es war eine unglückliche… Episode, und beide ließen die Sache hinter sich.«
Wirklich?, dachte Fabel. Er sah Lauras strenge, einsame Villa in Blankenese vor sich und bezweifelte sehr, dass Laura von Klosterstadt auch nur einen Teil ihres Kummers hinter sich gelassen hatte.
»Wer wusste von der Abtreibung?«, fragte er.
Margarethe von Klosterstadt schwieg eine Weile und musterte Fabel. Irgendwie schaffte sie es, gerade so viel Geringschätzung in ihren Blick zu legen, dass Fabel sich unbehaglich fühlte, ohne jedoch zu einer Konfrontation bereit zu sein. Unwillkürlich dachte er an Möller, den Gerichtsmediziner, der stets versuchte, dieses Niveau von Hochmut zu erreichen. Verglichen mit Frau von Klosterstadt war er ein unbeholfener Amateur. Fabel überlegte, ob sie ihre Kunst an den Bediensteten ausfeilte.
»Wir pflegen familiäre Details nicht mit der Außenwelt zu teilen, Herr Fabel. Und ich bin sicher, dass Herr Kranz absolut kein Interesse daran hatte, seine Rolle weithin bekannt zu machen. Wie gesagt, es war eine Familienangelegenheit, und sie blieb innerhalb der Familie.«
»Hubert wusste also davon?«
Ein weiteres frostiges Schweigen, bevor sie antwortete: »Das hielt ich nicht für nötig. Ob Laura ihn ins Bild setzte, weiß ich nicht. Aber leider standen sie einander als Bruder und
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