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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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überquerte die Straße, und Fabel folgte ihm mit den Augen, bis er aus dem Blickfeld verschwand.
    Etwas, das er gehört hatte. Etwas, das er gesehen hatte. Oder beides. Sein erschöpftes, um den Schlaf gebrachtes Gehirn weigerte sich, ihm zu helfen. Fabel ging in die Küche, schaltete das Licht an und kniff die Augen zusammen, um nicht geblendet zu werden. Er kochte sich eine Tasse Tee. Als er die Milch aus dem Kühlschrank nahm, fiel sein Blick auf drei Flaschen Jever. Er lächelte bei dem Gedanken, dass Susanne das Bier für ihn gekauft und hier verwahrt hatte. Für Fabel waren Kühlschränke eine Art intimer Bereich; ihr Inhalt war so persönlich wie der einer Brieftasche oder einesPortemonnaies. An einem Tatort öffnete er gewöhnlich auch den Kühlschrank, um sich einen Eindruck von den Bewohnern zu bilden. Nun teilte sich sein Bier diesen persönlichen Bereich mit Susannes Joghurt, ihren Lieblingskäsesorten aus Süddeutschland und dem Gebäck, für das sie eine Schwäche hatte.
    Er trug seinen Tee hinüber zur Frühstücksbar und nahm einen Schluck. Das Getränk war zu heiß, und er stellte die Tasse zum Abkühlen hin. Er hörte, wie Susanne in die Küche tappte. Sie rieb sich die Augen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie schläfrig. »Wieder ein Albtraum?«
    Er stand auf und küsste sie. »Nein. Ich konnte bloß nicht schlafen… Entschuldige, wenn ich dich gestört habe. Möchtest du einen Tee?«
    »Keine Ursache… und nein, danke.« Sie sprach durch ein Gähnen hindurch. »Ich wollte nur sicher sein, dass es dir gut geht.«
    Fabel verspürte einen Schub dunkler Energie. Seine Müdigkeit hatte sich verflüchtigt, und auf einen Schlag war er so wach, wie er nur sein konnte. Alle Sinne und Nerven waren angespannt. Er betrachtete Susanne ausdruckslos.
    »Was ist?«, fragte Susanne. »Jan, stimmt etwas nicht?«
    Fabel durchquerte die Küche und öffnete die Kühlschranktür. Er musterte das Gebäck: Apfel in einer leichten, flockigen Kruste. Er schloss die Tür und drehte sich zu Susanne um. »Das Lebkuchenhaus«, sagte er, aber er schien mit sich selbst zu sprechen.
    »Was?«
    »Das Lebkuchenhaus. Werner hat gesagt, wir sollten nach jemandem Ausschau halten, der in einem Lebkuchenhaus wohnt. Dann habe ich das Gebäck im Kühlschrank gesehen und bin daran erinnert worden.«
    »Jan, wovon redest du bloß?«
    Er legte die Hände auf ihre Schultern und küsste sie. »Ich muss mich anziehen und ins Präsidium fahren.«
    »Weshalb denn, um Himmels willen?« Sie folgte Fabel ins Schlafzimmer, wo er hastig in seine Kleidung schlüpfte.
    »Ich habe ihn gehört, Susanne. Von Anfang an hat er mir etwas mitteilen wollen, und jetzt habe ich ihn gehört.«
    Von seinem Auto aus rief er Weiss an. »Herrgott, Herr Fabel… Es ist erst fünf Uhr morgens. Was zum Teufel wollen Sie?«
    »Warum spielen Backwaren in den Grimm’schen Märchen eine so große Rolle?«
    »Was? Verflucht…«
    »Hören Sie, Herr Weiss, mir ist klar, dass es spät ist… oder früh…, aber es ist wichtig. Überlebenswichtig. Warum gibt es in den Grimm’schen Märchen so viele Hinweise auf Backwaren: auf Brot und Kuchen, auf Lebkuchenhäuser und dergleichen?«
    »O Gott… ich weiß nicht… dadurch wird so viel symbolisiert.« Der Schriftsteller klang verwirrt wie jemand, der im Halbschlaf in seinem Gedächtnis stöbert. »Verschiedene Dinge in verschiedenen Märchen. Nehmen wir zum Beispiel ›Rotkäppchen‹: Das frisch gebackene Brot für ihre Großmutter ist ein Symbol der unverdorbenen Reinheit des Mädchens, während der Wolf Verderbtheit und unersättliche Gelüste repräsentiert. Was er haben will, ist nicht das Brot, sondern ihre Jungfräulichkeit. Hänsel und Gretel hingegen, obwohl unschuldige Kinder, die sich in der Dunkelheit des Waldes verirrt haben, werden von ihren Gelüsten und ihrer Gier überwältigt, als sie auf das Lebkuchenhaus stoßen. In diesem Fall steht es also für die Versuchung. Backwaren können so viele unterschiedliche Dinge repräsentieren. Einfachheit und Reinheit oder sogar Armut… die kümmerlichen Brotkrumen, die Hänsel heimlich aufbewahrt, damit sie ihn und seine Schwester wieder in Sicherheit führen. Warum?«
    »Ich kann es im Moment nicht erklären. Aber vielen Dank.«Fabel legte auf und wählte sofort eine neue Nummer. Es dauerte eine Weile, bis sich jemand meldete.
    »Werner, hier ist Fabel… Ja, ich weiß, wie spät es ist. Kannst du jetzt gleich ins Präsidium kommen? Und versuch auch, Anna und Maria

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