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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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das ist nur ein Bruchteil der Gemälde, Zeichnungen, Buchillustrationen und Skulpturen, die von den Märchen inspiriert worden sind. Nehmen Sie Humperdincks Oper… Das Sandmännchen kommt und streut Hänsel und Gretel Zaubersand in die Augen, um sie einschlafen zu lassen. Das hat nicht das Geringste mit dem ursprünglichen Märchen zu tun. Die Interpretation des Mörders – und er hält sich offensichtlich füreinen Künstler – ist so subjektiv und persönlich wie alle übrigen. Solche Interpretationen können verzerrt sein. Die Nazis verleibten sich die Grimm’schen Märchen genauso ein wie alles andere von unserer Kultur, das sie für ihre Zwecke verdrehen und korrumpieren konnten. Es gibt eine besonders scheußliche, berüchtigte Buchillustration, auf der eine sehr ›arische‹ Gretel die alte Hexe in den Ofen stößt. Die alte Hexe hat stereotyp-jüdische Züge. Es ist eine abstoßende Arbeit und, wenn man darüber nachdenkt, ein ziemlich gruseliges Omen der kommenden Gräuel.«
    »Sie meinen also, dass es bei diesem Fall nicht um einen Plan, sondern um ein Thema geht?
    Weiss zuckte die Achseln. »Ich meine, wir können nicht ahnen, was er unternehmen wird oder wie sich sein Werk entfaltet. Aber das Material, mit dem er arbeitet, gibt ihm einen schrecklichen Spielraum und eine Auswahl an Geschichten, die er seinen Zielen anpassen kann.«
    »Dann möge Gott uns helfen«, sagte Fabel.

57.
    Hamburg-Othmarschen, Donnerstag, den 29. April, 21 Uhr
    Der Himmel über Hamburg war nach einem weiteren reinigenden Sturm klar geblieben und glühte nun am späten Abend. Ein warmes, sanftes Licht durchflutete Fabels Wohnung. Er war bis ins Mark erschöpft. Nachdem er seine Jacke und sein Pistolenhalfter aufs Sofa geworfen hatte, blieb er einen Moment lang stehen und betrachtete sein kleines Reich. Er hatte es gut, sogar anspruchsvoll, eingerichtet, und es war zu einem Abbild seiner Persönlichkeit geworden. Sauber, effizient, fast zu stark durchorganisiert. Er musterte den Ausblick und das Mobiliar, die Bücher und Bilder und die teuren elektronischenGeräte. Aber war es in seiner Wohnung tatsächlich weniger einsam als in Max Bartmanns mieser Bleibe über dem Studio in St. Pauli?
    Bevor er sich auszog und unter die Dusche trat, rief Fabel Susanne an. Sie hatten sich für diesen Abend nicht verabredet, und sie war überrascht, von ihm zu hören – überrascht, doch glücklich. »Susanne, wir müssen uns heute Abend treffen. Bei dir, bei mir, in der Stadt… egal, wo.«
    »Einverstanden. Stimmt etwas nicht?«
    »Nein. Alles in Ordnung. Ich muss einfach mit dir reden.«
    »Ach so…« Sie hatte offenbar angenommen, es gehe um den Fall. »Warum kommst du nicht hierher? Bleib über Nacht.«
    »Ich bin in einer halben Stunde da.«
    Susannes Wohnung lag in einem wilhelminischen Gebäude in Övelgönne. Zum Stadtteil Othmarschen gehörend, liegt Övelgönne an der Elbchaussee kurz vor Blankenese, sowohl geografisch als auch hinsichtlich seiner Attraktivität. Er hatte häufig bei Susanne übernachtet, doch meist hielten sie sich in seiner Wohnung auf. Fabel vermutete, dass Susanne ihre Sphäre bewusster als er schützte. Aber sie hatte ihm ihren Wohnungsschlüssel gegeben. Er parkte auf der anderen Straßenseite und schloss die Haustür auf. Susanne hatte ihn eintreffen sehen und erwartete ihn an ihrer Wohnungstür. Sie trug das übergroße T-Shirt, in dem sie auch schlief. Ihr glänzendes dunkles Haar fiel auf ihre Schultern, und ihr Gesicht war ungeschminkt. Manchmal, ganz unerwartet, fühlte Fabel sich überwältigt von ihrer Schönheit. Und das war auch in diesem Augenblick der Fall, als er sie auf der Schwelle zu ihrer Wohnung stehen sah. Susannes Wohnung war viel größer als seine und geschmackvoll eingerichtet. Der Stil hatte etwas Traditionelles, das dem nordischen Minimalismus von Fabels Mobiliar fehlte. »Du siehst müde aus«, sagte Susanne und strich ihm über das Gesicht. Sie führte ihn ins Wohnzimmer, bevor sie in die Küche ging und mit einem Glas Weißwein und einer Flasche Bier zurückkam. »Bitte sehr, ein Jever.« Sie reichte ihm die Flasche. »Ich habe extra für dich einen Vorrat angelegt.«
    »Danke. Das kann ich gebrauchen.« Er nahm einen Schluck von dem kühlen, würzigen friesischen Bier. Susanne setzte sich mit untergeschlagenen Beinen neben Fabel auf das Sofa. Das T-Shirt schob sich dabei nach oben, sodass die seidene Haut ihres Schenkels entblößt wurde. »Worüber möchtest du so dringend

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