Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
einfügst.«
»Ich weiß schon, worauf du hinauswillst… Henk Hermann?«
»Er ist gescheit, Anna, und aufgeweckt. Er ist ein guter Polizist, und ihr beide könntet vorzüglich zusammenarbeiten. Aber nur, wenn du ihm die Chance dazu gibst.«
Anna schwieg einen Moment lang. Dann musterte sie Fabel mit ihrem gewohnten herausfordernden Blick. »Bin ich die Einzige, die das bemerkt, und ist es bloß ein verdammter Zufall, dass er Paul Lindemann so ähnlich sieht? Ich frage mich langsam, ob wir unseren eigenen ›Wechselbalg‹ haben.«
Annas Scherz verärgerte Fabel, und er antwortete nicht sofort. Sie gingen zurück zu seinem BMW . Er drückte auf seine Fernbedienung, um den Alarm abzustellen und die Zentralverriegelung zu öffnen, bevor er sich mit den Ellbogen auf das Autodach stützte und zu Anna hinüberschaute. »Ich übernehme keine Beamten aus sentimentalen Gründen, Kommissarin Wolff.« Doch dann lächelte Fabel, denn er wusste, was sie meinte. Hermann hatte die gleiche schlaksige Gestalt und die gleichen sandfarbenen Haare wie Paul Lindemann, der Kollege, den sie verloren hatten. »Er sieht tatsächlich ein bisschen so aus. Aber er ist nicht Paul, und ich habe mich wegen seiner eigenen Vorzüge und seines eigenen Potenzials für ihn entschieden. Ich möchte, dass du ihm entgegenkommst. Es ist nicht nur meine, sondern auch deine Aufgabe, dieses Potenzial zu entwickeln… das Beste aus ihm herauszuholen. Und bevor du protestierst: Ich bitte dich nicht, das Kindermädchen für ihn zu spielen. Aber er muss viel lernen, und ich möchte, dass du ihn nicht behinderst, sondern ihm hilfst. Außerdem glaube ich, dass umgekehrt auch du ein paar Dinge von ihm lernen könntest.«
Sie fuhren zurück in Richtung des Polizeipräsidiums in Winterhude. Die von Wolken überzogene Sonne verdunkelteund erhellte sich, als wisse sie nicht, was sie mit dem Tag anfangen sollte. Anna blieb fast bis zum Ende der Fahrt stumm, doch dann platzte es aus ihr heraus: »In Ordnung, Chef. Ich werde versuchen, mich mit Hermann zu arrangieren. Ich weiß, dass ich manchmal unerträglich sein kann, aber die ganze Sache letztes Jahr mit Paul… und mit Marias Verletzung… das alles macht mir Sorgen. Paul war so verdammt geradlinig, so penibel und exakt. Das ging mir manchmal auf die Nerven. Aber er war ein guter, ehrlicher Mann, und man wusste bei ihm immer, woran man war.« Sie machte eine Pause. Fabel blickte sie nicht an, denn die robuste kleine Anna wollte bestimmt nicht, dass er ihre bestürzte Miene sah. »Er hat auf mich aufgepasst…« Ihre Stimme war angespannt. »Das lässt mich nachts nicht schlafen. Dass er versucht hat, mich zu retten. Ich habe überlebt und er nicht.«
»Anna…«, begann Fabel, aber sie schnitt ihm das Wort ab und zwang sich dabei zu einem normalen Tonfall.
»Ich werde Henk Hermann vorschlagen, dass wir uns zu einem Gespräch treffen. Vielleicht zusammen etwas trinken. Damit wir einander kennen lernen. Okay?«
»Okay, Anna.«
Sie parkten am Präsidium, und Anna legte die Hand auf die Tür, machte aber keine Anstalten auszusteigen. Sie richtete ihren offenen Blick auf Fabel. »Warum nicht Klatt?«, fragte sie unverblümt, und als Fabel einen Moment lang verwirrt schien, setzte sie hinzu: »Ich war überzeugt, dass du Klatt ins Team aufnehmen würdest. Ihm selbst ist der Gedanke wahrscheinlich auch gekommen. Warum hast du dich stattdessen für Henk Hermann entschieden?«
Fabel lächelte. »Klatt ist ein guter Polizist, aber ihm fehlt einiges für die Mordkommission. Er hat sich zu sehr auf Fendrich konzentriert. Mag sein, dass Fendrich unser Mann ist, aber Klatt wollte keine Alternativen sehen. Wenn Fendrich nicht der Mörder ist, dann könnte Klatt in den ersten Tagender Fahndung, vielleicht sogar in den wichtigen ersten Stunden, etwas entgangen sein, das die Lücke zwischen ihm und Paulas Entführer geschlossen hätte.«
»Mein Gott, Chef, das ist ein ziemlich hartes Urteil. Es gab nicht viele Anhaltspunkte, und Klatt hat sich auf Fendrich konzentriert, weil ihm kaum etwas anderes übrig blieb.«
»Seiner Meinung nach. Trotzdem ist er, wie gesagt, ein guter Polizist. Du hast mich gefragt, weshalb ich Henk Hermann und nicht Robert Klatt ausgewählt habe. Es hatte mehr mit dem zu tun, was Hermann zu bieten hat, als mit dem, was Klatt fehlt. Henk Hermann war der erste Beamte, der am Tatort im Naturpark erschien. Er stand auf einer winzigen Lichtung vor zwei Opfern, denen man die Kehle durchgeschnitten hatte,
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