Jan Fabel 04 - Carneval
Kollegen in der ukrainischen Miliz ist es uns gelungen, etwas Licht ins Dunkel zu werfen. Er wird bald keine Möglichkeit mehr haben, sich zu verstecken.«
Fabel gab Wagners Blick ausdruckslos zurück, doch er überlegte, was wohl in dem Dossier stehen mochte. Für ihn hatte Witrenko aufgehört, ein Mensch zu sein, sondern er war zu einem Gespenst geworden.
»Die Akte Witrenko hat Menschenleben gekostet, Herr Fabel. Ein großer Teil davon stammt aus geheimen ukrainischen Aktionen, nicht nur aus unseren eigenen Ermittlungen. Unserer Meinung nach weiß Witrenko von dem Dossier und würde vieles dafür geben, es in die Hand zu bekommen.«
»Warum? Würde es nicht nur das bestätigen, was wir nach seiner Ansicht ohnehin über ihn wissen?«, fragte Fabel.
»Witrenko ist besessen von dem Gedanken der Loyalität. Wir haben zwei Versionen des Dossiers: die Hauptakte und die Arbeitsakte, weil wir den Informationsaustausch mit unseren ukrainischen Kollegen begrenzen müssen. Natürlich ist das für sie frustrierend, aber innerhalb des ukrainischen Sicherheitsapparats besteht immer noch ein erhebliches Maß an Korruption. Auch wissen die Kollegen von der ukrainischen Miliz selbst nicht, wie viele von Witrenkos Leuten in ihre Reihen vorgedrungen sind. Deshalb benutzen sämtliche Mitglieder des Sonderkommandos nur die Arbeitsakte. Sie liefert die wichtigsten Details, enthält jedoch nicht, wie die Hauptakte, die Quellen. Aber selbst wenn Witrenko nur die Arbeitsakte an sich brächte, würde er genug Anhaltspunkte finden, um unsere Quellen innerhalb seiner Organisation entlarven zu können.«
»Aber gibt es denn welche? Witrenkos Männer sind ihm fanatisch treu ergeben.«
»Ganz genau. Aber als er sich mit Valeri Molokow zusammentat, gefährdete er seine Sicherheit. Molokow sind hehre Ideale wie Loyalität fremd. Wie Witrenko kommt er aus den Sicherheitsdiensten, wenn auch nicht aus den ukrainischen, sondern den russischen. Aber er ist im Grunde ein schlicht gestrickter Verbrecher ohne großartige Philosophie, die seine Männer vereint. Es gibt nur Habgier und Gewalt.« Wagner schien auf eine Reaktion von Fabel zu warten.
»Wie gesagt, Wassil Witrenko, seine Organisation und seine Komplizen … all das ist nun nicht mehr mein Problem«, erklärte Fabel.
Van Heiden und Wagner tauschten resignierte Blicke aus.
»Würden Sie es sich wenigstens überlegen?«, fragte van Heiden. »Ich bin bereit, Ihren Posten noch für drei Monate freizuhalten. Oberkommissar Meyer ist damit einverstanden, die Abteilung so lange zu leiten. Danach muss ich Sie ersetzen.«
»Sie können mich schon heute ersetzen, Herr van Heiden. Meine Entscheidung steht fest.«
»Gut, ich akzeptiere Ihre Gründe«, erwiderte Wagner. »Aber könnten Sie sich das hier vielleicht einmal ansehen?« Er reichte Fabel eine dicke Akte. »Ich möchte Sie nur um Ihre Meinung bitten. Ich weiß, dass Sie sich nicht direkt beteiligen wollen, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen Blick hineinwerfen und mir Ihre Gedanken dazu mitteilen könnten.«
»Was ist das?« Fabel nahm die Akte entgegen und betrachtete sie misstrauisch.
»Die Unterlagen kommen von der Polizei Nordrhein-Westfalen. Kriminaloberkommissar Scholz, der im Polizeipräsidium in Köln arbeitet, möchte wissen, ob Sie einmal kurz bei ihm vorbeischauen und ihm bei seinem Fall helfen könnten. Aber ich habe nun verstanden, dass so etwas für Sie nicht infrage kommt.«
Fabel lachte trocken. »Aha … ein kleiner Köder, um herauszukriegen, ob Sie mich doch noch an Land ziehen können.«
»In der Tat wäre ich enttäuscht, wenn dieser Fall Sie nicht genug interessieren würde, um zumindest einen Besuch in Köln zu erwägen und den Mann zu unterstützen. Aber ich respektiere Ihre Entscheidung. Im Übrigen weiß ich, dass Herr Scholz für jeden Kommentar oder Ratschlag dankbar wäre.«
»Na schön …« Fabel erhob sich und klemmte sich die Akte unter den Arm. »Ich werde einen Blick hineinwerfen, aber mehr kann ich wirklich nicht versprechen.«
Van Heiden begleitete Fabel zur Tür. Sie schüttelten einander die Hände.
»Wir werden Sie vermissen«, sagte van Heiden. »Ich muss gestehen, dass ich Sie mir nicht als Computerverkäufer vorstellen kann.«
Fabel lächelte. »Pädagogische Software, Herr Kriminaldirektor. Für Universitäten überall auf der Welt.«
»Was auch immer, Sie eignen sich nicht dafür. Sie sind Polizist, Jan. Ob Sie es nun akzeptieren oder nicht.«
CLOWNSTAGEBUCH, ZWEITER
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