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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Fußknöchel gefesselt, sie geknebelt, ihr die Augen verbunden und ihr eine Art Beutel über den Kopf gestülpt hatte. Schließlich war ihr anscheinend ein Paar Industrieohrenschützer aufgesetzt worden.
    All das war typisch für die Sondereinheiten: völliger Reizentzug, um das Opfer zu verwirren. Die Zeit existierte nicht mehr. Maria merkte, dass sich ihre Wahrnehmung von ihrem Körper getrennt hatte. Sie empfand weder Arme noch Beine und hatte auch keinen Kontakt mehr zu ihrem Nervensystem. Zappelnd kämpfte sie gegen ihre Fesseln an, damit das Seil die Haut an ihren Knöcheln und Handgelenken abschürfte. Es klappte einen Augenblick lang, die Verbindung zu ihrem Fleisch wiederherzustellen, doch kurz darauf wich der Schmerz einem dumpfen Druck am Rand ihres Seins.
    Maria ahnte nicht, wie lange sie im Kofferraum gelegen hatte oder dass der Wagen zum Stehen gekommen war, als sie plötzlich Hände an ihrem Körper spürte und hinausgehoben wurde. Man ließ sie ein paar Minuten lang auf einem harten Stuhl sitzen, schlang ihr ein weiteres Seil um die Brust und band sie fest an die Lehne. Die straffe Fessel um ihre Gelenke hatte ihre Hände taub werden lassen. Ohrenschützer, Augenbinde und Haube machten es ihr unmöglich herauszufinden, ob sie innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes war. Sie wusste, dass man Menschen auf diese Weise hinrichtete. Ihrer Sicht und ihres Gehörs beraubt, würde sie nicht einmal merken, ob ein Hahn gespannt wurde oder ob ihr Henker in der Nähe war. Es würde plötzlich und unvermittelt geschehen; ihr Leben konnte in einem Sekundenbruchteil ausgelöscht werden. Wahrscheinlich nicht das schlimmste Ende, dachte sie, doch ihr Herz pochte wild.
    Nur ein paar Tage vorher war Maria überrascht darüber gewesen, wie ungerührt sie dem Tod entgegensah. Aber inzwischen hatte sie sich eine neue Identität angeeignet und erneut zu leben gelernt. Dadurch hatte ihre Existenz wieder einen gewissen Wert für sie gewonnen. Ob man ihre Leiche je finden würde? Sie stellte sich vor, wie Fabel stirnrunzelnd auf ihren Körper und ihr seltsam gefärbtes Haar hinunterblickte.
    Plötzlich wurden ihr die Ohrenschützer und die Haube vom Kopf gerissen. Hinter ihr löste jemand den Knebel. Marias Puls schlug noch schneller. Vielleicht würde man sie vor dem Tod noch foltern. Die Augenbinde wurde entfernt, und die jähe Wiederherstellung ihrer Sinne brachte sie durcheinander. Sie senkte den Kopf und blinzelte in das gleißende Licht.
    Ihre Augen passten sich rasch der Helligkeit an. Ihr gegenüber saßen ein Mann und eine Frau. Anscheinend befand sie sich in einem kleinen, leeren Lagerhaus oder in einer Industrieanlage. Die verputzten Wände waren nackt und wiesen nur eine Doppeltür an der gegenüberliegenden Seite sowie eine dicke Metallschiebetür rechts von Maria auf. An der Decke verlief ein Schienensystem mit daran hängenden Metallhaken. Vermutlich hatte man sie in eine stillgelegte Fleischverpackungsfabrik gebracht.
    Die Frau stand auf und zerbrach eine Ampulle unter Marias Nase. Etwas Kräftiges beflügelte ihre Wahrnehmung, und plötzlich war sie schmerzhaft wach.
    »Hören Sie mir zu.« Der Mann sprach als Erster. Sein Deutsch war durch einen starken ukrainischen Akzent geprägt. »Sie müssen sich konzentrieren. Verstehen Sie?«
    Maria nickte.
    »Wir wissen, wer Sie sind, Frau Klee. Außerdem wissen wir, warum Sie hier sind … und dass Sie eigenständig, ohne Erlaubnis und Unterstützung Ihrer Vorgesetzten, handeln. Sie sind völlig allein.«
    Maria schwieg.
    »Sie mögen eine ausgezeichnete Polizistin sein, Frau Klee, aber auf diesem Gebiet sind Sie eine Anfängerin. Eine einfache Haarfärbung genügt nicht, um Sie zu einer Überwachungsexpertin zu machen.«
    Maria musterte die Frau. Sie war jung, bemerkenswert schön und hatte leuchtende, hellblaue Augen. Bestimmt fiel es ihr nicht leicht, in einer Menge unterzutauchen. Der Mann hingegen flößte Maria Angst ein. Er hatte die gleichen grünen Augen wie Witrenko; seltsam durchdringend wie die so vieler Ukrainer. Sein Haar war fast schwarz, und seine blasse Haut spannte sich ungewöhnlich straff über seinen slawischen Wangenknochen. Schlank, doch muskulös, machte er einen zielbewussten Eindruck. Aber er schien erschöpft zu sein.
    »Was geschieht nun mit mir?«, fragte Maria. »Warum haben Sie mich hierhergebracht, statt mich irgendwo im Wald zu verscharren? Nichts, was ich weiß, kann Ihnen nützen.«
    Der Ukrainer tauschte ein Lächeln mit der

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