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Jan Fabel 05 - Walküre

Titel: Jan Fabel 05 - Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Irma Grese, »dann hat jemand sie so gemacht wie mich. Verstehst du das?« Die breite Stirn furchte sich. Anscheinend legte sie Wert darauf, dass er sie ver­stand. »Jemand hat sie wie mich gemacht.«
    »Ich verstehe«, erklärte er.
    Sie musterte Fabel von oben bis unten. »Hast du Angst vor mir?«
    »Nein, ich habe keine Angst vor dir. Ich verachte dich. Au­ßerdem hasse ich alles an dir und alles, was du getan hast. Am meisten verabscheue ich dich, weil du mich Freude über deine Hinrichtung empfinden lässt.«
    »Nein, du hast Angst vor mir. Im tiefsten Innern haben alle Männer Angst vor Frauen. Ihr fürchtet mich, weil ihr alle Frauen fürchtet. Eure Sorge ist, dass sich etwas wie ich tief in jeder Frau verbirgt.«
    »Das ist nicht wahr«, widersprach Fabel. »Euer Geschlecht hat nichts damit zu tun. Du und alle anderen wie du waren Monster. Gewöhnliche, langweilige Niemands. Aber Monster. Ihr habt darauf gewartet, dass jemand eure Käfige öffnet und eure Monstrosität entkommen lässt.«
    »Und für dich sind wir aus unseren Käfigen entkommen, Jan, nicht wahr?«
    Einen Moment lang glaubte Fabel, Christa Eisel vor sich zu haben, dann Viola Dahlke, die Hausfrau, die auf St. Pauli ver­haftet worden war, doch dann wurde sie wieder zu Irma Grese. »Wir sind seit zwanzig Jahren dein Leben.«
    Plötzlich, ohne sich zu bewegen, ohne einen Schritt zu ma­chen, rückte Irma Grese näher heran. Ihr Gesicht, dicht an sei­nem, blickte zu ihm auf. Sie kreischte schrill und unmenschlich, ihre Augen waren grausam, und ihre dunklen Brauen wölbten sich auf der zu großen Stirn unter den blonden Haaren. Sie wirkte furchteinflößend und komisch zugleich. Ihr rechter Arm schoss hoch, und Fabel sah, wie die Zellophanpeitsche im blas­sen Sonnenlicht glänzte.
    Er wachte auf.
    Fabel drehte sich um und überzeugte sich, dass Susanne noch schlief. Er wollte nicht, dass sie von einem weiteren seiner Albträume erfuhr. So viel Zeit war seit dem letzten vergangen. Susanne war seine Geliebte und hatte ihn gebeten, die Polizei zu verlassen, damit die Träume aufhörten. Doch sie war auch Psychologin, und ihre Sorge hatte zudem professionelle Gründe. Die Träume selbst beunruhigten sie weniger als die unsichtbare Verwirrung, durch die sie ausgelöst wurden. Renate dagegen hatte sich nie Sorgen wegen der Träume gemacht und auch sei­netwegen nicht.
    Er stand auf, ging in die Küche und kochte sich eine Tasse Tee. Es dauerte immer noch recht lange, Dinge in der neuen Wohnung zu finden. Im Geist - und besonders in den frühen Morgenstunden - wohnte er immer noch in seinem Apartment in Pöseldorf.
    Das Telefon klingelte. Es war 5.40 Uhr.
    »Wenn das jetzt nicht wichtig ist...«, rief er in die Muschel.
    »Ist es aber.« Es war Glasmacher, ein Mitarbeiter der Mord­kommission. »Ich bin um die Ecke in Altona. Wir haben sie, Chef... Wir haben den Engel.«
     

2.
     
    Der Wohnblock war abgesperrt worden, und man hatte auf der Straße in fünfzig Meter Entfernung von beiden Seiten des Eingangs Barrieren errichtet, doch das Mediengedränge blieb vorläufig aus. Die Kunde hatte sich noch nicht verbreiten kön­nen. Fabel brauchte nur zehn Minuten, um den Tatort von sei­ner eigenen Wohnung aus zu erreichen. Er parkte vor der Sperre und zeigte dem uniformierten Wächter seinen Ausweis.
    Ein großer blonder Mann mit blasser Haut, der ungefähr dreißig Jahre alt war, wartete am Eingang des Wohnblocks auf Fabel. Er trug eine braune Lederjacke und hatte sich einen di­cken Schal um den Hals geschlungen. Er schniefte, und Fabel bemerkte, dass seine Nase rosarot verfärbt war.
    »Du solltest mit so was im Bett liegen, Thomas«, sagte Fabel.
    »Hätte ich mich bloß krankgemeldet. Wäre ich nicht im Dienst gewesen, hätte ich das hier nicht gesehen.« Glasmacher nickte zu dem Gebäude hinauf.
    »Schlimm?«
    »Und ob ... Einer der schlimmsten, der mir je vor die Augen gekommen ist. Das Opfer ist stundenlang gefoltert worden. Übrigens habe ich ein paar zusätzliche Leute angefordert. Auch Dirk Hechtner ist unterwegs.«
    »Und du meinst, wir hätten den Engel?«
    »Der Modus operandi ähnelt sowohl dem der neueren als auch dem der älteren Morde. Was immer die Absicht dieser Frau war, ist offensichtlich erfüllt. Als sie fertig war, hat sie no gewählt, weil sie einen Mann getötet habe und >zurückkommen< wolle.«
    »Wie heißt das Opfer?«
    Glasmacher zog ein Notizbuch aus der Tasche seines Leder­mantels - und gleichzeitig ein Bündel benutzter

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