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Jan Fabel 05 - Walküre

Titel: Jan Fabel 05 - Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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und das Tablett hoch, um sie neben Drescher abzu­stellen. Sie hockte sich an seine Seite und flüsterte ihm ins Ohr: »Frauen sind gezwungen, in Angst zu leben. Überall auf der Welt. Jeden Tag. In realer Angst. Eine Angst, wie du sie jetzt verspürst. Aber trotzdem fragst du dich noch nicht: >Warum?...
    Warum tut sie das?«< Sie hielt ihm ein Foto in Augenhöhe hin. »Weißt du, wer das ist? Meine Schwester Margarethe. Sie ist tot. Sie hat sich umgebracht. Als du mit ihr fertig warst, verlor sie den Verstand und wurde eingesperrt. Dann brachte sie sich um. Das Personal in ihrem Krankenhaus glaubte, alle Vorsichts­maßnahmen zur Verhinderung von Selbstmord getroffen zu ha­ben, aber wenn du dazu ausgebildet worden bist, andere auf so vielfältige Art zu töten, dann fällt es dir leicht, deinem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Dazu brauchst du kaum Mittel oder Gelegenheiten.«
    Drescher musterte das Foto und hörte Ute zu, denn ihm blieb keine andere Wahl. Das Gesicht auf dem Foto. Er kannte es. Erinnerte sich daran. Ihn entsetzte die Tatsache, dass sie nicht zu begreifen schien, wessen Gesicht - ohne Make-up oder die Färbung der Haare - es wirklich war. Unablässig hämmerte sein Herz im Käfig seines gelähmten Körpers.
    »Ich mache seit vierzehn Jahren auf dich Jagd. Vierzehn Jahre lang habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet. Und ich habe meiner Schwester Margarethe versprochen, dass ich das Richtige tun würde. Nun halte ich mein Versprechen. Und ich werde mir Zeit nehmen. Mich an jedem Moment erfreuen. Erinnerst du dich daran, wie du ihre Klasse über Veränderungen der Blutzufuhr unterrichtet hast? Wie man sie einsetzt, um den Tod zu beschleunigen oder hinauszuzögern? Erinnerst du dich, wie du sie mit der Hinrichtung durch Sägen im Mittelalter ver­traut gemacht hast? Das Opfer wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt und von der Leiste bis zum Hals durchgesägt. Weil das Opfer mit dem Kopf nach unten hing, war die Blutzufuhr zum Gehirn gesichert, und der Betreffende blieb während der ganzen Operation bei Bewusstsein.«
    Sie stand auf und beförderte das, was seinen Kopf und Hals gestützt hatte, mit einem Tritt zur Seite. Sein Kopf knallte auf den Fußboden und wurde von Schmerz durchbohrt. Nun stand sie mit gespreizten Beinen über ihm und schaute auf ihn hinun­ter. »Du hast meine Schwester in den Wahnsinn getrieben. In den Tod. Nun werde ich dich in den Wahnsinn treiben. Du wirst sterben, aber vorher wirst du solche Schmerzen haben, dass du den Verstand verlierst.«
    Er blickte zu ihr auf und dachte, wie schön sie war. Wie schrecklich schön.
     

Fünftes Kapitel
     

1.
     
    Es war lange her, seit Fabel einen solchen Traum gehabt hatte. Während seines gesamten Lebens als Kriminalbeamter war er von Albträumen geplagt worden: Die Toten besuchten ihn in der Nacht. Die Opfer, deren Ermordung er nicht hatte aufklä­ren können, starrten ihn anklagend an und zeigten auf ihre Wunden. Die Träume waren einer der Gründe gewesen, die ihn anderthalb Jahre zuvor veranlasst hatten, über seinen Abschied von der Polizei nachzudenken. Dann, nachdem er beschlossen hatte, bei der Mordkommission zu bleiben, hatten die Alb­träume aufgehört.
    Doch dieser Traum unterschied sich von den anderen.
    Er stand mitten in einem riesigen Hof, der von Stachel­drahtzäunen umschlossen war und an dessen fernem Ende eine Reihe niedriger Holzhütten stand. Er brauchte kein Zeichen oder Motto über dem Tor zu lesen, um zu wissen, wo er war. Ihm als Deutschen hatten sich die Bilder tief ins Bewusstsein gebrannt.
    Kein anderer war auf dem Hof, und aus den Hütten erklang kein Laut. Ein geräuschloser Wind wirbelte etwas Staub von der geharkten Erde auf. Er drehte sich langsam um: ganze 360 Grad.
    Sie stand direkt vor ihm.
    »Suchst du mich?«, fragte Irma Grese. Sie war jung - erst neunzehn oder zwanzig —, klein und stämmig und trug ein formloses graues Kleid. Ihre Füße steckten in den Stiefeln, die sie, wie er gelesen hatte, üblicherweise beim Foltern von Häft­lingen anhatte. Ihre fast männlichen Züge waren hart und breit, und ihr dünnlippiger Mund war an den Winkeln nach unten gebogen. Sie hatte die blonden Haare aus ihrem Gesicht zu­rückgebürstet, das zur Hälfte von der Stirn eingenommen wurde.
    »Nein«, erwiderte Fabel, der durch die tiefen Abdrücke des Seils an ihrem Hals und ihrer Kehle abgelenkt wurde. »Ich su­che nicht dich, sondern jemanden, der so ist wie du.«
    »Wenn das stimmt«, sagte

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