Jan Fabel 05 - Walküre
die Fabel von Karin Vestergaard erhalten hatte, lag im Bezirk Wandsbek, und zwar im nördlichen Stadtteil Poppenbüttel. Wandsbek hatte früher zu Schleswig-Holstein gehört und war erst zur gleichen Zeit wie Altona von Hamburg eingegliedert worden. An den Ufern des Flusses Alster gelegen, erinnerte Poppenbüttel immer noch eher an ein Dorf als an einen Stadtteil.
Bei ihrer Ankunft wurde ihnen sofort klar, dass sie die Adresse von Sparwalds Arbeitsplatz, nicht die seines Wohnsitzes erhalten hatten. SkK-BioTech befand sich in einem niedrigen, unauffälligen Gebäude mitten in einem gepflegten Garten, der von winterkahlen Bäumen gesäumt war. Fünf kleine Flaggen hingen nach UN-Art an im Garten nebeneinanderstehenden Masten. Das SkK-Biotech-Logo flatterte in der kalten Brise neben den Fahnen der EU, Deutschlands und, wie Fabel bemerkte, neben der weiß-roten nordischen Kreuzflagge Dänemarks.
»Die hatten wohl mit Ihnen gerechnet«, sagte Fabel zu Karin Vestergaard und deutete auf die dänische Fahne. Das nächste Banner war keine Landesflagge; es bestand aus einem weißen Feld und einem kleinen roten Kreuz mit sich erweiternden Enden.
Die pummelige Empfangsdame brauchte eine Weile, um sich aus dem hinten liegenden Büro an den Schalter zu begeben. Offenbar war man bei SkK-BioTech nicht an Besucher gewöhnt, schon gar nicht an unangemeldete. Fabel hielt seinen Dienstausweis hoch.
»Wir möchten mit Herrn Sparwald sprechen.«
»Mit Herrn Doktor Sparwald«, korrigierte die Empfangsdame. Sie schaute nervös zwischen Fabel und Karin Vestergaard hin und her. Ihre Miene verriet das vage, grundlose Schuldbewusstsein eines Menschen, der selten mit der Polizei umgeht. »Leider ist er nicht hier. Er macht Urlaub. Noch zwei Wochen.«
»Ach so ...« Fabel dachte über seine Alternativen nach. »Was tun Sie hier?«
»Ich arbeite in der Verwaltung. Kümmere mich um den Briefwechsel und nehme Anrufe entgegen.«
Fabel lachte. »Entschuldigung. Das hatte ich nicht gemeint. Ich möchte wissen, was SkK-BioTech tut.«
»Oh ...« Die fleischigen Wangen der kleinen Empfangsdame verfärbten sich. »Wir arbeiten für medizinische Forschungsunternehmen. Herr Dr. Lüttig könnte das genauer erklären. Soll ich ihn holen?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte Fabel.
Karin Vestergaard und er tauschten ein Lächeln aus, als sich die Empfangsdame entfernte. Sie kehrte mit einem hochgewachsenen, schlanken und düster-ernsten Mann von Ende vierzig zurück. Er trug einen weißen Laborkittel, doch auf Fabel machte er den Eindruck eines lutherischen Geistlichen von einer fernen friesischen Insel.
»Mein Name ist Thomas Lüttig. Wie ich höre, suchen Sie meinen Kollegen Ralf Sparwald. Gibt es ein Problem?«
Fabel zückte erneut seinen Dienstausweis. »Ich bin Erster Hauptkommissar Jan Fabel von der Mordkommission der Polizei Hamburg. Dies ist meine Kollegin Politidirektor Karin Vestergaard von der Dänischen Nationalpolizei.«
»Mord?« Lüttigs ernste Miene wurde irgendwie noch ernster. »Was hat das mit...«
Fabel hob die Hand. »Bitte, keine Sorge. Wir helfen nur unseren norwegischen Kollegen bei ein paar Nachforschungen. Dr. Sparwald macht Urlaub?«
»Ja. Er wird ... Moment, er ist seit einer Woche fort und kommt in zweieinhalb Wochen zurück«, antwortete Lüttig.
»Ein langer Urlaub.«
»Allerdings. Aber das war wohl nicht zu vermeiden ... China, wissen Sie. Wenn man so weit reist, sollte es sich auch lohnen. Obwohl ich ihn hier wirklich gebrauchen könnte ... Dr. Sparwald ist nämlich mein Stellvertreter und außerdem mein erfahrenster Analytiker.«
Fabel begann, Lüttigs Worte für Karin Vestergaard ins Englische zu übersetzen.
»Ich habe unter anderem in Cambridge studiert«, unterbrach Lüttig. »Deshalb macht es mir nichts aus, Englisch zu sprechen, wenn es hilft.«
»Vielen Dank«, meinte Karin Vestergaard lächelnd. »Konnten Sie keine Vertretung für ihn einsteilen? Eine Reise nach China erfordert lange Vorbereitungen, und er muss Sie eine ganze Weile vorher unterrichtet haben.«
»Eben nicht. Ralf hat mich aus heiterem Himmel damit überrascht. So ist er eben ... ein sehr engagierter Umweltschützer. Aus diesem Grund arbeiten wir hier: Die Gruppe, für die wir tätig sind, setzt sich stark für die Säuberung der Umwelt ein. Aber selbst wenn er mich frühzeitig informiert hätte, wäre es fast unmöglich gewesen, einen Vertreter für ihn zu finden. Oder jedenfalls einen
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