Jan Fabel 05 - Walküre
zumachen und von trendigen Bars, Musiktheatern und Luxuswohnungen abgelöst werden. Sogar eine Werbeagentur richtet hier ihre Büros ein.«
»All das ist doch von Vorteil, oder?«
»Na ja, es gibt auch eine Kehrseite. Früher hat man billigen Sex verkauft. Nun verkauft man Gesöff. Der Kiez ist von der britischen Krankheit angesteckt worden: von Sauforgien, besonders in den Clubs. Dadurch haben wir es nun mit einer anderen Art von Straßenverbrechen zu tun. Weniger Diebstahl, mehr Gewalt.«
»Funktioniert das Verbot nicht?« Anna meinte die kurz vorher ergangene gerichtliche Verfügung gegen das Tragen von Waffen auf der Reeperbahn und auf dem Kiez. Eine waffenfreie Zone war eingerichtet und durch gelbe Schilder an ihren Grenzen markiert worden.
»Ein bisschen schon. Aber Ihr Engel scheint sich nicht daran zu halten.«
Anna lachte. Sie beendeten ihr Gespräch, als sie am Eingang eines weiteren Clubs ankamen. Zwei stiernackige Neandertaler hatten die Hände in der traditionellen Haltung von Sicherheitspersonal vor dem Körper verschränkt.
»Warum stehen die immer so da?«, wollte Anna von Wangler wissen. »Als müssten sie ihre Eier schützen.«
»Vielleicht haben sie von Ihnen gehört«, meinte Wangler glucksend.
»Sie wissen davon?«
»Jeder weiß davon.« Wangler wandte sich an den ersten Türsteher. »Hallo, Heiner.«
»Hallo, Theo.« Der gewaltige Türsteher sprach mit einer erstaunlich sanften und hohen Stimme. »Wie geht's?«
»Muss ja. Heiner, das hier ist Kriminalkommissarin Wolff von der Mordkommission. Sie möchte euch ein paar Fragen stellen.«
»Sie kann mich alles fragen, jederzeit ...« Der Türsteher lächelte. Sein Kumpel schloss sich ihm an, doch Anna hielt das für eine Reflexhandlung, denn der andere Türsteher wirkte nicht hinreichend hoch entwickelt, um zu unabhängigem Denken fähig zu sein. Anna erwiderte das Lächeln müde. Dann reichte sie Heiner ein Foto von Armin Lensch.
»Haben Sie diesen Mann vielleicht gesehen?«, fragte sie.
Der Türsteher warf einen Blick auf das Foto, zuckte mit den mächtigen Schultern und gab es Anna zurück. Dann stutzte er. »Einen Moment. Darf ich es noch mal angucken?« Anna hielt ihm das Foto erneut hin. »Ja. Ja, den habe ich gesehen. Freitag ... nein, Samstagabend. Da drüben.« Er deutete über die breite Fahrbahn hinweg. »Wie er in ein Taxi gestiegen ist.«
»Erinnern Sie sich an jeden, der in ein Taxi steigt?«, fragte Anna skeptisch.
»Nein. Aber ich erinnere mich an den Kerl, weil es meiner Meinung nach kein Taxi war. Jedenfalls keins im Dienst. Es sah komisch aus.«
»Wie meinen Sie das?«
»Also, es war das richtige Modell, ein Mercedes der E-Klasse, und es hatte die richtige Farbe, elfenbein-beige, aber kein Dachschild. Ich bin auf den Wagen aufmerksam geworden, weil er hinter dem Mann aufgetaucht ist. Er wusste wahrscheinlich nicht, dass es kein Taxi war. Man muss auf so 'nen Kram aufpassen - Strolche, die sich als Taxifahrer ausgeben und zum Beispiel Mädchen mitnehmen. Oder Besoffene in die Kiste laden und ihnen das Geld klauen. Aber es kommt selten vor, weil fast keiner ein Auto von derselben Farbe wie 'n Taxi hat.«
»Und Sie sind sich sicher, dass dieser Mann in das Taxi gestiegen ist? Oder in das falsche Taxi?« Anna tippte auf das Foto.
»Ja, er war früh am Abend mit einer Gruppe von anderen Typen hier. Hatte ein großes Maul, der Blödmann. Ich habe ihn auf der anderen Straßenseite wiedererkannt.«
»Du achtest doch darauf, dass die Leute nicht beklaut werden. Warum hast du nicht gemeldet, dass er in den Wagen gestiegen ist, oder wenigstens versucht, es zu verhindern?«, fragte Wangler.
»Es hätte auch ein echtes Taxi sein können. Außerdem habe ich nicht geglaubt, dass er sich in Gefahr begab.«
»Wieso?«, hakte Anna nach.
»Naja ...« Heiner der Neandertaler hob die massigen Schultern. »Ich war mir sicher, dass ihm nichts passieren kann. Schließlich war es 'ne Fahrerin.«
3.
Birta schlich sich an das Haus heran und blieb dabei außerhalb der gelben Lichtkegel, die aus den unverhangenen Fenstern auf den Schnee fielen. Das war etwas, woran man einfach nicht dachte, wenn man an einem Ort wie diesem wohnte — die Jalousien oder Vorhänge zu schließen. Der Wald war ein Schutz vor der Welt. Niemand konnte die Bewohner sehen.
Da die erhellten Zimmer leer zu sein schienen, musterte sie auch die dunklen Fenster. Nichts. Sie bewegte sich auf die Seite des Hauses zu.
Weitere Kostenlose Bücher