Jan Fabel 06 - Tiefenangst
überlassen.«
»Tun Sie mir den Gefallen, Herr Wiegand. Ich möchte sicher sein, dass die Jacke, die ich mitnehme, zu der Sorte gehört, die dieser Herr tatsächlich trägt.« Er wandte sich dem Mann an der Tür zu. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie für das Konsolidierungs- und Vollstreckungsbüro arbeiten?«
Der Konsolidierer antwortete nicht, sondern blickte Wiegand ratsuchend an.
»Bitte, geben Sie dem Hauptkommissar Ihre Jacke. Wozu benötigen Sie das gute Stück, Herr Fabel?«
»Ich möchte den Stoff mit einer Faser vergleichen, die wir am Ort von Müller-Voigts Ermordung gefunden haben.«
»Ach so.« Er hob eine Hand, um den Konsolidierer zu stoppen, der gerade seine Jacke ausgezogen hatte und sie Fabel reichen wollte. »Wenn es hier um irgendeine Anschuldigung geht, sollten Sie sich erst einmal einen Durchsuchungsbefehl besorgen.«
»Brauche ich einen Durchsuchungsbefehl? Heißt das, Sie wollen nicht mit uns kooperieren?«
Wiegand schwieg ein paar Sekunden und nickte schließlich dem Konsolidierer zu, der Fabel die Jacke übergab.
»Aus alledem schließe ich, dass Sie jemanden vom Pharos-Projekt verdächtigen, an der Ermordung von Berthold Müller-Voigt beteiligt gewesen zu sein«, sagte Wiegand, als der Konsolidierer den Raum verlassen hatte. »Das ist zweifellos eine lächerliche Vermutung, aber Sie hätten mich früher darüber ins Bild setzen sollen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir vom Projekt bei jeder Ermittlung von ganzem Herzen mit der Polizei zusammenarbeiten werden. Allerdings ist es unmöglich, dass eines unserer Mitglieder in eine solche Angelegenheit verwickelt ist. Wir haben Berater und Mentoren in unserer Gemeinschaft, die sofort merken würden, wenn jemand einen Hang zur Gewalt oder zu gesellschaftsfeindlichen Tendenzen aufweisen würde.«
»Also stimmt es, dass die Projektmitglieder als Egregor handeln, im Sinne eines Gruppenbewusstseins.«
»Soll das heißen, dass der Verdacht besteht, das Pharos-Projekt habe kollektiv geplant, Berthold Müller-Voigt etwas anzutun? Und warum?« Wiegand blieb gefasst. Wenn Fabel ihn beunruhigte, würde er es sich nicht anmerken lassen.
»Vielleicht weil vermutet wurde, dass Meliha Yazar ihre Informationen über das Projekt an ihn weitergegeben hat. Vielleicht ist es etwas so Wichtiges, dass sich jeder, der davon erfährt, in Gefahr befindet.«
»Das ist reine Fantasterei und leider typisch für die Erfindungen der deutschen Behörden über uns. Aber ich verspreche Ihnen, Herr Fabel, wenn Sie solche Vorwürfe außerhalb dieses Büros erheben, sollten Sie bereit sein, vor Gericht dazu Stellung zu beziehen.«
»Genau das ist meine Absicht, Herr Wiegand.«
Der Milliardär stand auf, um anzudeuten, dass das Gespräch für ihn beendet war. Fabel blieb sitzen.
»Es gibt noch ein anderes Thema, über das ich mit Ihnen sprechen möchte.« Fabel faltete die Jacke sorgfältig auf seinem Schoß zusammen und ließ die Finger über den Stoff gleiten. Das Gewebe entsprach Astrid Bremers Beschreibung: Es gab nicht nach und fühlte sich wie Nylon an. »Wie Sie bestimmt wissen, untersuchen wir im Moment die Ermordung von vier jungen Frauen durch jemanden, den sie im Internet kennengelernt hatten.«
»Der Network-Killer-Fall. Ja, davon weiß ich.«
»Schön. Vor ein paar Nächten kam eine Frau auf mich zu, die in einem ähnlichen Stil wie diesem hier gekleidet war.« Er deutete auf die Jacke. »Sie gab mir eine falsche Identität an. Und zwar die des nächsten Opfers des Network-Killers, bevor wir es gefunden hatten. Besonders interessant daran ist, dass die Leiche einige Zeit kühl gelagert worden zu sein scheint.«
»Und …?«
»Nichts – abgesehen davon, dass man die Leiche anscheinend lange genug auf Eis gehalten hat, um mir vor ihrem Fund den Namen des Opfers mitzuteilen und um den Todeszeitpunkt zu verfälschen. Es hat den Anschein, als sollten wir unbedingt glauben, dass die Frau später starb, als es tatsächlich der Fall war.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«, fragte Wiegand matt.
»Ich habe gründlich darüber nachgedacht und glaube nun, den Zweck des Ganzen zu verstehen. Dadurch ahne ich, was Meliha Yazar herausgefunden hat.«
»Nämlich?«
»Ein andermal.« Fabel stand auf. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Wiegand. Ich freue mich auf unser nächstes Gespräch.« Er schaute sich in dem Büro mit den Glaswänden und dem gedämpften Ausblick auf das Wasser um. »Beim nächsten Mal sollten wir uns
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