Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Spur war?«
»Ich weiß es nicht.« Flemming zuckte die Achseln. »Schon möglich. Ich bin erst im Nachhinein in den Fall verwickelt worden. Aber ich halte es für durchaus denkbar, dass sie entweder über den Korn-Pharos-Konzern oder über das Pharos-Projekt etwas herausgefunden hat. Nach allem, was ich gehört habe, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, falsche Umweltpropheten zu entlarven.«
»Aber Sie haben Erfahrung im Umgang mit Menschen, die mit dem Projekt zu tun hatten?«, fragte Werner.
»Wir haben bisher vier Mitglieder befreit. Formell gesehen haben wir dabei jedes Mal das Gesetz gebrochen. Aber nach ihrer Entprogrammierung legten die geretteten Mitglieder keinen Wert darauf, uns anzuzeigen, sondern sie waren uns dankbar.
Sie wollten wissen, warum ich meine Arbeit nicht an die große Glocke hänge. Aber inzwischen können Sie bestimmt ermessen, wie brutal Pharos vorgeht. Es verliert ungern Mitglieder – nicht etwa aus finanziellen Gründen, sondern weil ehemalige Mitglieder dazu neigen, über die internen Vorgänge zu plaudern.«
»Und die Menschen, die von Ihnen befreit worden sind – haben die geplaudert?«
»Ja, aber die Sekte ist so organisiert, dass jedes Mitglied nur eine sehr begrenzte Sicht auf die gesamte Organisation hat. Immerhin konnten wir einiges zusammenfügen und uns eine Vorstellung von den geheimeren Seiten des Projekts machen.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel gibt es unkontrollierte Experimente zur Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer. Damit befasst sich ein Zweig der Neurowissenschaften, der Dominik Korns Ideen entspricht. Man hat hauchdünne Sensoren entwickelt, die man im Gehirn von Behinderten implantiert, um sie mit externer Technologie zu verbinden. Blinde können so mithilfe eines externen künstlichen Auges wieder sehen, Amputierte haben die volle Sinneskontrolle über Robotprothesen und so fort. Man hat sogar schon komplexe Versionen entwickelt, die Menschen mit spezifischen Lähmungen helfen können. Ihnen ist bestimmt klar, dass Dominik Korn durch seinen Zustand ein persönliches Interesse daran hat, die Entwicklung entsprechender Geräte zu finanzieren.«
Fabel musste an Johann Reisch denken, der sich nach genau solch einer Technik gesehnt hatte, für den es jedoch zu spät war.
»Wollen Sie behaupten, dass das Pharos-Projekt illegal Operationen an Mitgliedern durchführt, um einen besseren elektrischen Rollstuhl für Korn entwickeln zu können?«, fragte er.
»Sie müssen bedenken, dass viele Sektenangehörige nur zu gern bereit sind, daran mitzuwirken. Die ›Erweiterung‹ gilt als Schritt auf dem Weg zur Singularität.«
»Mein Gott«, rief Fabel, »fallen die Leute wirklich auf dieses Zeug herein?«
»Ganz egal, wie raffiniert die Technologie des Pharos-Projekts auch sein mag oder wie viel Geld es angehäuft hat, es ist nur eine weitere destruktive, idiotische Sekte. Und das bedeutet, dass sie die gleichen alten Tricks wie immer verwenden. Man reduziert die Nahrungsaufnahme und den Schlaf der Mitglieder, um ihre geistige Reaktionsfähigkeit zu schwächen. Manchmal werden sie sogar ein wenig sediert. Dadurch werden Neuankömmlinge gefügiger, wenn die Indoktrination beginnt. Unser Problem ist: Wenn wir einen von ihnen befreien, machen wir uns im Grunde der Entführung schuldig. Wir halten diese Person gegen ihren Willen an einem geheimen Ort fest und benutzen die gleiche Gehirnwäschetechnik wie die Sekte, nur in umgekehrter Form. Dann bringen wir die Befreiten zu ihrer Familie zurück. Damit ist die Sache gewöhnlich beendet, aber einige Sekten versuchen, ehemalige Mitglieder aufzuspüren. Das Pharos-Projekt setzt dazu Konsolidierer – Angehörige des Konsolidierungs- und Vollstreckungsbüros – ein.«
»Meinen Sie, dass mich solche Leute in die Elbe gestoßen haben?«
»Davon bin ich überzeugt. Es gibt sogar Gerüchte, dass einige Konsolidierer ›erweitert‹ worden sind, das heißt, dass sie den Weg zur Konsolidierung tatsächlich beschritten und spezielle Implantate erhalten haben, um ihr Gehör zu verfeinern, ihren Augen eine Infrarotsicht zu ermöglichen, und ähnlicher Blödsinn. Meiner Ansicht nach ist das nur ein Sektenhype. Nicht einmal dem Pharos-Projekt stehen solche Mittel zur Verfügung. Noch nicht.«
»Sie haben sich ja wirklich eingehend mit der Sekte befasst.«
»Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir haben es mit raffinierten Feinden zu tun.«
»Mmm …«, machte Fabel nachdenklich. »Kennen Sie zufällig einen Mann
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