Jan Fabel 06 - Tiefenangst
nie von seinem Muster ab. Und er scheint nicht der Typ zu sein, der mit seiner Beute spielt. Er verfolgt seine Opfer, stellt ihnen eine Falle, und dann vergewaltigt und erwürgt er sie. Das ist das Hauptereignis. Alles, was er danach tut, gehört zum Aufräumen. Zur Beseitigung. Er hat nie den Drang verspürt, die Leichen zu zerstückeln. Also lassen wir diese Sache außen vor, bis wir die Berichte haben.«
Fabel nickte Anna zu, die auf eine Taste der kabellosen Tastatur drückte. Vier Reihen mit Fotos erschienen. Drei zeigten die üblichen, von Blitzlichtern erhellten Tatortbilder der jungen weiblichen Opfer. In der vierten rasten zahlreiche Fotos von jungen Männern über das Whiteboard. Dutzende. Hunderte. In rascher Folge.
»Wir haben es hier mit einem ganz neuen Verbrechensbereich zu tun«, erklärte Fabel. »Der Mörder zeigt ein vertrautes Vorgehen für jeden, der schon mal an einem sexuellen Serienmordfall gearbeitet hat. Alle in diesem Raum haben Erfahrung mit Ermittlungsprozessen, durch die Mörder identifiziert und ausfindig gemacht werden. Wir stützen uns auf die forensischen Details, die Chronologie des Mordes und die Beziehungen zwischen Zeugen, Schlüsselereignissen und Schauplätzen. Wir können die Orte aufsuchen, Zeugen und Beweismaterial ausfindig machen und uns Hintergrundinformationen verschaffen. Aus alledem können wir uns ein Bild zusammensetzen und sogar eine Beschreibung des Verdächtigen erhalten.
Aber in diesem Fall findet der Mörder seine Opfer im Cyberspace. Drei Frauen, bisher ohne jede Verbindung miteinander, sind von einem dieser Männer in den Tod gelockt worden …« Fabel deutete auf die immer noch flackernde Abfolge von Fotos.
»Dies sind die Männer, von denen wir wissen, dass die Opfer über Social Networking Sites im Internet mit ihnen Kontakt hatten. Geht’s ein bisschen langsamer, Anna?«
Anna Wolff drückte auf eine Taste, wonach sich die Bilderfolge verlangsamte. Es waren Amateurfotos von jungen Männern, teils mit einem Handy oder einer Digitalkamera vor einem Spiegel aufgenommen. Mehrere Gesichter waren undeutlich, verschwommen oder durch das reflektierte Blitzlicht überlagert. Man sah eine Vielfalt der üblichen Grimassen und Posen, einige hemdlose, muskulöse Oberkörper, und die meisten Abgebildeten machten die zu erwartenden albernen Hörnergesten oder demonstrierten Lässigkeit.
»Unser Problem ist folgendes: Normalerweise könnten wir aus dieser Auswahl eine einzige Person identifizieren, die Kontakt mit allen Opfern gehabt hat, und ihr ein Gesicht geben. Aber im Internet kann der Mann mehrere Gesichter haben, ohne dass eines davon tatsächlich ihm gehört. Es ist fast sicher, dass er für jede Frau, der er im Internet ›begegnet‹, eine andere Identität benutzt und dass keine seine eigene ist. Es ist sogar denkbar, dass er gar nicht als Mann auftritt. Er könnte sich mit seinen Opfern als Frau oder auch als Vertreter einer Organisation verabredet haben.
Wie ich eingangs gesagt habe: Wir müssen vor allem berücksichtigen, dass keine der Regeln, die wir im Lauf der Jahre erlernt haben, in der Umgebung des Internets gilt. Hier kann jeder sein, was er sein möchte. Selbst wenn wir das Gesicht des Mannes finden, mit dem sich die Opfer verabredet hatten, ist es nahezu sicher, dass er im wirklichen Leben anders aussieht.«
»Was ist mit der Spurensicherung? Nichts ist realer, als vergewaltigt und erwürgt zu werden. Haben wir keine DNA von Sperma, Haar oder Haut, die er an den Opfern hinterlassen hat?«, fragte Dirk Hechtner, ein kleiner dunkelhaariger Kripobeamter, der noch nicht lange zum Team gehörte.
Fabel schüttelte den Kopf. »Der Mann ist gewissenhaft. Er benutzt ein Kondom, und wir glauben, dass er sein Schamhaar abrasiert hat. Bis jetzt haben wir keine einzige nicht vom Opfer stammende DNA-Spur gefunden. Auch seine Methode, die Leichen ins Wasser zu werfen, ist gerichtsmedizinisch von Nachteil.«
»Wo also fangen wir an«, wollte Werner Meyer wissen.
»Dies scheint mir ein guter Zeitpunkt zu sein, um Hauptkommissar Kroeger vorzustellen …« Fabel deutete auf den Mann am anderen Ende des Tisches. »Herr Kroeger leitet das IT-Team des Präsidiums. Bitte!«
Kroeger nickte mit seinem schmalen, knochigen Kopf. »Wie Leitender Hauptkommissar Fabel erwähnt hat, beinhaltet die Informationstechnologie für die Strafverfolgung genauso viele Herausforderungen wie Möglichkeiten. Eines unserer größten Probleme betrifft die Pädophilen. Und leider
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