Jan Fabel 06 - Tiefenangst
haben wir gerade in diesem Bereich eine steile Lernkurve bewältigen müssen. Denn es war diese Gruppe von Straftätern, die als Erste erkannt hat, welche Vorteile das Internet ihnen bietet. Es hat ihre gesamte Methode geändert, wie sie Opfer finden und in die Falle locken, wie sie Bilder von Missbräuchen austauschen und wie sie sich vor allem miteinander verständigen und Informationen übermitteln können, ohne ihre Identität preiszugeben.
Früher, vor der Existenz des Internet, handelten diese Leute allein und waren überwiegend isoliert. Sehr selten trafen sie auf gleichgesinnte Individuen, zumeist im Gefängnis. Auch früher gab es hin und wieder organisierte Pädophilenringe. Aber eine darüber hinausgehende Kommunikation, von Zusammenarbeit gar nicht zu reden, war recht ungewöhnlich. Wenn sie vorkam, dann innerhalb eines spezifischen geografischen Gebiets.
Das änderte sich durchs Internet. Plötzlich konnten diese Leute, zum allerersten Mal, ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln. Sie waren nicht mehr voneinander isoliert, sondern in der Lage, Informationen und Bilder im ganzen Land und in der ganzen Welt auszutauschen. Weil es so viele andere gab, die ihre Perversionen teilten, konnten sie sich einreden, dass es gar keine Perversionen waren. Dass ihr Verhalten nicht anormal, krankhaft, deformiert war.«
Kroeger legte eine Pause ein. Fabel hatte bemerkt, dass das lange, schmale Gesicht des Internet-Verbrechensexperten teilnahmslos geblieben war, dass die knochigen Züge keine Lebhaftigkeit erkennen ließen. Auch die grauen Augen waren weiterhin trüb und träge. Vielleicht, dachte Fabel, ist das die Folge, wenn man dauernd mit Technik, mit Maschinen, arbeitet; vielleicht wird man dann weniger aktiv, weniger menschlich.
»Dazu ist das Internet imstande: den kränksten und perversesten Geistern durch ein ihnen entsprechendes Umfeld den Eindruck der Normalität zu geben«, fuhr Kroeger fort. »Entscheidend dabei ist, dass es diesen Leuten ein Gefühl der Sicherheit, der Ungestraftheit vermittelt. Und nun schalten wir uns ein. Im Internet existiert nämlich keine Anonymität. Herr Fabel hat einen Vergleich mit den üblichen Ermittlungen angestellt, bei denen man einen Straftäter ausfindig machen, Augenzeugen befragen kann usw. Es ist jedoch falsch zu glauben, dass so etwas bei Internet-Tätern nicht möglich ist. Das Internet stellt eben nur eine virtuelle statt einer materiellen Welt dar. Man hinterlässt trotzdem überall Spuren. Und wie sehr man auch bemüht ist, sich als jemand anders zu verkleiden, man kann seine eigene Identität nie gänzlich verschleiern.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Fabel. »Wenn jemand behauptet, statt wie in Wirklichkeit ein vierzigjähriger Mann ein vierzehnjähriges Mädchen zu sein, wie wollen Sie das durchschauen?«
»Gut, beginnen wir mit den Grundlagen. Viele Browser bieten ein verdecktes Surfen an, bei dem nichts in der Internet-Historie verzeichnet wird und der Computer keine Cookies oder andere Spuren des Ausflugs im Netz aufzeichnet. Aber in Wirklichkeit gibt es kein verdecktes Browsing. Der Internet-Provider stellt ein Protokoll aller Sites und Webseiten her, die man besucht. Und die Administratoren dieser Sites speichern unsere IT-Adresse. Jedes Mal, wenn man sich mit dem Internet verbinden lässt, bleibt eine Spur zurück. Und wenn jemand dumm genug ist, einen Computer am Arbeitsplatz oder zu Hause zu benutzen, dann brauchen wir nur noch eine gerichtliche Verfügung, um den Namen und die Adresse des Benutzers zu erfahren.«
»Aber unser Mann ist nicht dumm«, sagte Anna.
»Nein …« Kroeger griff in die Tasche und holte einen USB-Stick hervor. »Dies ist ein Dongle. Er ermöglicht den Zugang zu jedem WiFi-HotSpot. Natürlich hat man weiterhin eine IP-Adresse, aber wenn jemand ein Prepaid-Dongle mit Bargeld erwirbt, werden Name und Adresse des Käufers nirgends aufgeführt. Ich vermute, dass der Network-Killer, wenn er klug ist, eines dieser Geräte benutzt.
Aber selbst dann bleibt er auffindbar. Wann immer er online ist, kann er seinen Aufenthaltsort nicht verbergen. Oder zumindest nicht ohne recht komplizierte Software. Wir können den Standort des Geräts ausfindig machen. Falls er ein Prepaid-Dongle hat, muss er ihn irgendwo aufladen, was bedeutet, dass er sich wieder in die reale Welt begibt. Der Verkäufer im Zeitungs- oder Handyladen, der sein Guthaben erneuert, ist der Zeuge, von dem Herr Fabel gesprochen hat. Das heißt, mein Revier
Weitere Kostenlose Bücher