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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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die alte Garde hasste. Zumindest versuchte die alte Garde nicht zu verbergen, was sie war. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass es ihr darum ging, Geld anzuhäufen und es jedem anderen vorzuenthalten. Sie pochte auf ihre Exklusivität und machte kein Hehl daraus, dass es ihr völlig egal war, wenn sie den Planeten zerstörte. Aber diese Scheißkerle – Scheißkerle wie der trendige Mercedes-Mann – waren viel schlimmer. Genauso von Geld und Status besessen, verbargen sie alles hinter einer politisch korrekten, gesellschaftlich engagierten, umweltfreundlichen Tarnung. Sie zerstörten den Planeten ebenso wie die anderen, aber sie taten es verstohlen. Heuchlerisch.
    Er kannte den Mann nicht, der den Mercedes geparkt hatte; der Kommandeur hatte ihm weder dessen Namen noch sonstige Einzelheiten mitgeteilt. Doch Niels hasste den Mann. Hasste ihn mit jeder Faser seines Körpers. Und gleich würde er seinem Hass Luft machen. Dann würde der Mercedes-Mann begreifen, dass jede Entscheidung, jede Wahl, die man traf, Konsequenzen hatte, gleichgültig, wie wenig man über sie wusste.
    Niels sah zu, wie eine Frau hinter dem Mercedes anhielt. Sie saß in einem genauso neuen, fast quadratischen, hässlichen Alfa Romeo Giulietta. Alles an ihr – ihr Aussehen, ihre Kleidung, ihr Haar – verriet Niels, dass sie ein weibliches Gegenstück zu dem Mercedes-Mann war. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss und einem Lachen, und beide betraten gemeinsam das Café.
    Hier war sie, die nächste Phase. Bisher hatte die Gruppe sich darauf beschränkt, nachts Autos wie dieses in Brand zu setzen. Aber es war fast zu einer allgemeinen Tradition geworden, dass die Autos der Reichen im Schanzenviertel hin und wieder als Zielscheiben dienten, und man wusste nie, welche Gruppe jeweils dafür verantwortlich war. In vielen Fällen handelte es sich schlicht um Einzelpersonen, die gegen die Veredelung des Schanzenviertels und die Aufweichung seines nonkonformistischen Charakters protestierten. Aber darum ging es Niels und der Gruppe nicht. Sie waren die Beschützer Gaias. Die Beschützer der Erde. Soldaten in einem Krieg zur Verteidigung der Luft, der Meere und des Bodens.
    Er schaute wieder zum Ende der Straße. Harald stand weiterhin mit dem Motorrad bereit, das sie in der Nacht zuvor gestohlen hatten. Es würde ebenfalls in Brand gesetzt werden. Danach. Auf Befehl des Kommandeurs hatte Harald nichts von der Automatikpistole in Niels’ Tasche erfahren und auch nichts davon, dass diese am helllichten Tag stattfindende Brandstiftung in Wirklichkeit eine Hinrichtung war.
    Nun stellte Niels die Reisetasche auf den Boden und öffnete den Reißverschluss. Er nahm nichts heraus, sondern machte sie nur bereit. Dann hob er sie wieder auf und überquerte entschlossen die Straße. Von der Fahrbahn aus näherte er sich dem Mercedes und zog mit seiner freien Hand einen Klauenhammer aus der Feldjacke. Er hörte das wütende Brummen des Motorrads, als Harald hinter ihm heranjagte. Niels zertrümmerte das Fahrerfenster mit dem Hammer, und die Alarmanlage gab ein explosives Heulen von sich. Er warf die Reisetasche durch das Fenster, schritt weiter und steckte den Hammer wieder ein. Nach ein paar Metern drehte er sich um und sah, wie Harald, das Gesicht unter seinem Helm verborgen, neben dem Mercedes anhielt und den angezündeten Molotowcocktail hineinwarf, bevor er beschleunigte.
    »Steig auf!«, rief Harald und hielt Niels einen Arm hin.
    Das Paar war auf die Straße gelaufen, nachdem es den Alarm des Mercedes gehört hatte. Die Flammen im Auto loderten heftiger, aber bisher brannte nur der Molotowcocktail. Die in Plastikbeutel gehüllten fünf Liter Brandbeschleuniger hatten noch nicht Feuer gefangen.
    »Steig auf!«, brüllte Harald noch lauter, doch Niels war von den Flammen hypnotisiert, die über das Innere der Windschutzscheibe züngelten. Der Stoff des Verdecks brannte nun auch und flackerte im Wind. Der Mercedes-Mann und seine Freundin hatten das Auto erreicht, konzentrierten sich jedoch zu sehr auf das Feuer, um in Niels’ Richtung zu schauen. Der Mercedes-Mann sah verstört aus, zupfte an seinem Haar und tänzelte unschlüssig auf das Auto zu und wieder zurück. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Niels vermutete, dass er vorhatte, irgendetwas aus dem Wageninnern zu retten.
    Niels schloss die Finger um den Griff der Pistole, die noch in seiner Tasche verborgen war. Aber aus irgendeinem Grund zögerte er. Diese Situation, diese Umgebung, dieses

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