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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Ereignis hatten etwas an sich, das ihm plötzlich über alle Maßen vertraut erschien. Niels merkte, wie eine neue Déjà-vu-Erfahrung begann. Er hatte das Gefühl, die Pistole hervorgeholt zu haben, begriff jedoch, dass dies nicht stimmte.
    Aber dann wurde Niels klar, dass er wusste, was geschehen würde, bevor es wirklich geschah, und dass diese Erkenntnis nichts mit einer Déjà-vu-Erfahrung zu tun hatte. Der Mercedes-Mann zog seinen Jackenärmel über die Handfläche, um eine Art Handschuh herzustellen, und zog am Griff des Autos. Die Tür schwang auf, und der Mann trat vor. Genau in diesem Moment fingen die fünf Liter Brandbeschleuniger Feuer, die Niels durch das zertrümmerte Fenster geworfen hatte.
    Es war wie das Aufblühen einer Blume: Ein riesiger, schöner Feuerball barst durch die offene Tür und durch das brennende Verdeck. Für ein paar Sekunden verschwand der Mercedes-Mann in der Flamme und wurde von ihr verzehrt. Dann hörte Niels Schreie. Die Freundin schrie. Zuschauer schrien. Er hörte sogar einen unterdrückten, kehligen Ruf, vom Helm gedämpft, den Harald hinter ihm ausstieß. Vor allem jedoch hörte er die unmenschlich schrillen Schreie des Mercedes-Mannes. Der Feuerball schoss zum Himmel hinauf, und der Mercedes-Mann wurde erneut sichtbar. Sein Körper brannte. Ganz und gar. Eine einzige sich bewegende, kreischende Flamme. Er torkelte vorwärts und stürzte aufs Pflaster. Zwei Zuschauer rannten herbei und warfen ihre Mäntel über das brennende Opfer. Zwei andere Männer in der Menge hatten Niels und Harald plötzlich bemerkt und deuteten auf sie.
    Niels rührte sich nicht von der Stelle, sondern starrte auf den brennenden Mann und versuchte, sich daran zu erinnern, ob er den Mann wirklich schon unzählige Male hatte brennen sehen. In jenem Moment begriff er, dass nichts von alledem real war. Alles, was man ihm im Krankenhaus hatte einreden wollen, bestand aus Lügen. Dies war nicht die Realität, sondern eine Erfindung, eine Imitation. Er existierte nicht wirklich, und was er gerade erlebt hatte, war nicht wirklich geschehen.
    »Um Himmels willen, Niels …«, hörte er Haralds eindringliche Stimme hinter sich. »Steig auf das verdammte Motorrad. Sofort!«
    Die Männer in der Menge brauchten eine Sekunde, um den Ablauf zu rekonstruieren und die Verantwortlichen ausfindig zu machen. Als sie auf Niels zuliefen, saß er bereits auf dem Rücksitz des gestohlenen Motorrads. Harald gab Gas, missachtete die Vorfahrt und zwang mehrere Autos, mit kreischenden Bremsen anzuhalten.
    Auf dem Sozius-Sitz hatte Niels immer noch das Bild des schreienden, brennenden Mannes hell vor Augen, während sie durch die engen Straßen des Schanzenviertels entkamen. Und er hörte ein sehr sonderbares Geräusch. Gelächter.
    Sein eigenes Gelächter.

12.
     
    »Wo bist du jetzt?«
    »Im Auto. Am Freihandtelefon.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Susanne. »Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert.«
    »Dies ist nicht das einundzwanzigste Jahrhundert«, widersprach Fabel. »Ich erinnere mich genau, dass uns in den Siebzigern im Fernsehen versprochen wurde, wir alle würden in Hovercars durch die Gegend sausen, silberne Overalls tragen und Urlaub auf dem Mond machen. Wie ist Wiesbaden?«
    »Bourgeois. Noch bourgeoiser als Hamburg, wenn das möglich ist. Wohin fährst du? Nutzt du meine Abwesenheit, um dich mit einer geschmeidigen Blondine zu vergnügen?«
    »Leider nicht. Ich bin unterwegs zu Berthold Müller-Voigt. Zu seiner Residenz, wenn du’s genau wissen willst.«
    »Seit wann stehst du denn mit der Schickeria auf so gutem Fuß? Was willst du mit ihm besprechen?«
    »Weiß ich noch nicht. Er hat mich eingeladen. Komisch …«
    »Wieso komisch?«
    »Weil er sonst immer so cool und beherrscht ist. Etwas hat ihn durcheinandergebracht. Was genau, werde ich wohl bald herausfinden. Vermisst du mich?«
    »Schmerzlich, aber der junge italienische Kellner im Restaurant lenkt mich ab. Ich komme übermorgen zurück.«
    »Übrigens, was meintest du mit ›Poppenbütteler Schleuse‹?«
    »Bitte?«
    »Die SMS, die du mir geschickt hast. Rätselhaft, das muss ich dir zugestehen.«
    »Jan, ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du redest.«
    »Heute Mittag«, erläuterte er mit einem Seufzen. »Ich war beim Essen im Café am Fährhaus und bekam eine Nachricht von dir. Darin stand nur ›Poppenbütteler Schleuse‹. Mehr nicht.«
    »Und ich dachte, dass du mittags nie Alkohol trinkst.«
    »Es ist kein Witz, Susanne. Die

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