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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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sich erneut darauf, den gerade leer gewordenen Tisch zu säubern. »Dabei hatten wir gedacht, dass flambierte Kunden auf der Speisekarte die Massen anziehen würden.« Er richtete sich müde auf und wirkte älter, als Fabel zunächst angenommen hatte. Groß und mager, mit einem von tiefen Falten durchzogenen Gesicht, war er auf eine Weise gekleidet, die ihm ein Jahrzehnt früher besser gestanden hätte. »Deshalb sind Sie doch hier?«
    »Kannten Sie das Opfer?« Fabel schaute in sein Notizbuch. »Daniel Föttinger?«
    »Wie ich den anderen Polizisten bereits gesagt habe: Er war Stammgast. Kam jeden Mittwoch um dieselbe Zeit und traf sich mit derselben Frau. Sie aßen Mittag und fuhren dann zusammen weg.«
    »Wie meinen Sie das – fuhren zusammen weg?«
    Der Kellner seufzte. »Sie trafen mit zwei Autos ein, aber nach dem Essen nahmen sie den Wagen der Frau. Das große Mercedes-Cabrio stand immer ein, zwei Stunden draußen und verschwand dann im Lauf des Nachmittags. Ich dachte oft, dass er ein gewisses Risiko einging – bei all den Autobrandstiftungen in der Gegend. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es am helllichten Tage direkt vor unserer Tür passieren würde. Oder dass der arme Hund selbst dran glauben musste.«
    »Was wissen Sie über ihn?«
    »Das Gleiche, was ich über all meine Kunden weiß: was sie bestellen, was sie trinken, was für ein Trinkgeld sie geben. Er war kein großer Plauderer.«
    »Aber er kam oft hierher?«
    »Was soll ich sagen? Manche Gäste lernt man leicht kennen. Ihn nicht.«
    »Trotzdem müssen Sie einen Eindruck von ihm gehabt haben … davon, was für ein Mensch er war.«
    Der dürre Kellner lachte leise. »Wie soll ich mich ausdrücken? Er hat hier keine sonderlich ausgeprägte Persönlichkeit gezeigt, höchstens die eines arroganten Arschlochs. Immer wenn er reinkam, setzte er sich hin wie beim ersten Mal. Sie wissen, was ich meine: Ich war immer derjenige, der ihn bediente, aber er tat so, als hätte er mich noch nie gesehen. Manche Gäste sind so. Sie behandeln dich, als ob du gar nicht existierst und nur zu ihrer Bequemlichkeit da bist.«
    »Und die Frau?«
    »Sie war entgegenkommender. Zumindest sprach sie mit mir und nahm mich als Menschen zur Kenntnis. Sie sieht wirklich klasse aus, und ich konnte nicht so recht verstehen, warum sie mit ihm zusammen war. Er schien mir ziemlich eindimensional zu sein.«
    »Die beiden waren also Ihrer Meinung nach ein Paar?«
    »Richtig. Aber nicht verheiratet. Und keine Geschäftspartner oder Kollegen. Es war klar, dass sie etwas am Laufen hatten. Wenn man so lange kellnert wie ich, durchschaut man den Zweck des Besuchs und des Mittagessens, wenn Sie wissen, was ich meine. Aber irgendwie passten sie nicht zueinander.«
    Fabel hob die Augenbrauen.
    »Ach, ich weiß nicht …« Der Kellner rieb wieder an der Tischplatte herum und verbarg seinen Ärger über die Störung nicht. »Einerseits passten sie schon zusammen … er reich, sie hübsch …, aber er wirkte einfach so … so langweilig . Wenn mir eine Frau, die so aussieht, gegenübersäße, würde ich weniger Zeit auf mein elektronisches Spielzeug verschwenden. Er simste oder telefonierte dauernd mit seinem Handy. Einmal arbeitete er die Hälfte der Zeit an seinem Laptop. Vielleicht wurde er weniger von unserer vorzüglichen Küche als von unserem kostenlosen WiFi angezogen. Aber seine Freundin schien die Nase voll zu haben. Ich glaube, sie war kurz davor, ihm den Laufpass zu geben.«
    »Und all das wird Ihnen beim Kellnern klar?« Fabel hatte nicht herablassend klingen wollen, doch das Gesicht des dürren Mannes umwölkte sich.
    »Wenn Polizisten gezwungen wären, mal sechs Monate lang als Kellner zu arbeiten, könnten sie die Menschen besser einschätzen. Alle entfernen sich immer weiter voneinander, von der Realität. Es liegt an der Scheißtechnik. Ich jedenfalls arbeite in diesem Betrieb, weil ich hier Menschen beobachten kann. Live in der realen Welt.« Er warf Fabel einen geringschätzigen Blick zu. »Nehmen wir Sie zum Beispiel … Sie sind Polizist, aber aus der Art, wie Sie sich kleiden und mit den Leuten reden, schließe ich, dass Sie sich von der Menge unterscheiden wollen. Ihr Jackett – englischer Schnitt, Tweed – entspricht nicht den anonymen, uniformen Zweihundert-Euro-Anzügen, die die Hamburger Kripo normalerweise trägt. Ich würde sagen, dass Sie sich als Polizist in Ihrer Haut nicht wohlfühlen und glauben, etwas mehr im Oberstübchen zu haben.«

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