Jan Fabel 06 - Tiefenangst
schaute noch finsterer drein. Offensichtlich war sie einem Gefühlsausbruch nahe, doch vorläufig fand sie keine Worte.
»Hören Sie, Frau Kempfert«, sagte Fabel. »Ich weiß, dass Sie etwas Schreckliches durchgemacht haben, und Sie haben deutlich genug zum Ausdruck gebracht, dass Sie Polizisten nicht leiden können. Aber ich bin schon sehr, sehr lange bei der Kripo. Kaum etwas auf dieser Welt kann mich noch schockieren, deshalb werden Sie mich durch Launenhaftigkeit und pubertäre Sprache bestimmt nicht aus der Fassung bringen. Aber wenn Sie wollen, können wir unser Gespräch gern auf diesem Niveau fortführen. Wie oft haben Sie und Herr Föttinger hier gefickt?«
Sie senkte die Augen. Mit ihren ausgeprägten Gesichtszügen und ihrer dunklen Mähne war sie eine schöne Frau. Ähnlich wie Susanne. Und, wie Fabel gegen seinen Willen bemerkte, durchaus sein Typ.
»Daniel und ich sind jede Woche – jeden Mittwoch – nach dem Mittagessen hierhergekommen. Je nach unseren Terminen trafen wir uns noch ein weiteres Mal in der Woche. Er war oft verreist.« Sie hielt inne. »Es tut mir leid, wenn ich … Aber nachdem ich gesehen, miterlebt habe, was ihm zugestoßen ist …« Sie biss sich auf die Unterlippe, und etwas in ihren Augen verhärtete sich erneut. Offenbar war sie entschlossen, nicht zu weinen.
»Das verstehe ich«, sagte Fabel mit sanfterer Stimme. »Haben die anderen Beamten Ihnen Kontakte bei der Opferbetreuung genannt?«
»Ich brauche keine Beratung , Herr Fabel. Ich komme darüber hinweg. Irgendwann.«
»Haben Sie die Attentäter gesehen?«
»Nein … Ja … Ich meine, ich wusste ja noch nicht, dass sie Attentäter waren. Die Drecksäcke standen einfach da und sahen zu, wie Daniel verbrannte. Zuerst dachte ich, sie seien einfach nur Passanten wie die übrigen, aber dann bemerkte ich ihre Skimasken oder was auch immer vor ihren Gesichtern. Am Anfang wusste ich nicht einmal, dass es Brandstiftung war. Und was sich abspielte.«
»Ist Ihnen etwas Besonderes an den Männern aufgefallen?«
»Außer den Skimasken? Ich war zu sehr auf Daniel konzentriert. Und dann … Warum tut jemand so etwas?«
»Ich muss herausfinden, ob sie vorsätzlich gehandelt haben. Im Schanzenviertel werden etliche teure Autos angesteckt. Vielleicht war das ihre einzige Absicht.«
»Ich bin mir nicht sicher …« Sie sprach langsam, und ihr Blick war verschwommen, als versuche sie, die Szene im Kopf nachzuspielen. »Es war die Art, wie sie warteten. Zusahen. Vor allem der eine.«
»Das könnte bedeuten, dass sie erschüttert über die Folgen ihrer Tat waren.«
Victoria Kempfert schüttelte heftig den Kopf. »Das ist es ja … Sie haben gefragt, ob mir etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Also, ich könnte schwören, dass der eine Mann mit der Skimaske, bevor er auf den Rücksitz des Motorrads sprang und bevor sie sich davonmachten … Ich könnte schwören, dass er lachte . Niemand lacht, wenn er erschüttert über die Folgen seiner Tat ist.«
»Nein … normalerweise nicht. Allerdings könnte es auch das Ergebnis eines Schocks sein. Oder hysterisches Gelächter als psychologisch bedingter Reflex.«
»Daran war nichts Hysterisches. Der Mistkerl lachte über das, was er getan hatte.«
Fabel musterte sie einen Moment lang.
»Wie lange waren Sie mit Herrn Föttinger zusammen?«
»Zwei Monate. Oder vielleicht drei. Allerdings ging die Sache zu Ende.«
»Sie wussten, dass er verheiratet war?«
»Er machte kein Hehl daraus. Und ich machte kein Hehl daraus, dass es mir egal war. Wir lernten uns beruflich kennen. Ich bin Webdesignerin und hatte für seine Firma gearbeitet. Aber das war Monate vor unserer Beziehung. Er hatte inzwischen jemand anders beschäftigt. Dann, vor ungefähr zehn oder zwölf Wochen, habe ich ihn bei einer geschäftlichen Veranstaltung getroffen. Sie wissen schon, das übliche Gummiadleressen mit Flowcharts und Powerpoints zum Nachtisch.«
»Leider weiß ich das nicht«, entgegnete Fabel. »Das ist nicht meine übliche Umgebung. Und so begann Ihre Affäre?«
»Etwa eine Woche später rief er mich an und lud mich zum Mittagessen ein. Dann kamen wir jede Woche zusammen, aber es wurde … ermüdend .«
»Wieso ermüdend?«
»Auf den ersten Blick war Daniel charmant und interessant. Aber irgendetwas fehlte ihm. Es war, als wäre nichts unter der Oberfläche. Ich weiß, es klingt seltsam, aber sogar wenn wir intim waren, schien er allein zu sein. Manchmal wurde es geradezu unangenehm . Als
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