Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Mitteln und Personen zu genehmigen. Sie wollte damit deutlich machen, dass Fabel immer noch die Verantwortung trug.
Nach Brüggemanns Zusammenfassung umriss Fabel kurz die Geschehnisse in Reischs Haus in Schiffbek. Es sei unwahrscheinlich, dass sich aus ihnen Konsequenzen für die anderen Ermittlungen ergaben.
Thomas Glasmacher und Dirk Hechtner bildeten ein ungleiches Team: Glasmacher war groß, blond und kräftig, Hechtner klein, dunkelhaarig und schmächtig; Glasmacher war reserviert, Hechtner kontaktfreudig. Fabel hatte beide vor mehr als einem Jahr in die Mordkommission geholt und zu Partnern gemacht. Es freute ihn, wie sie zusammengewachsen waren. Dirk ergriff meistens das Wort, und nun bestätigte er, dass der vollständige Bericht über die Leiche, die an der Poppenbütteler Schleuse entdeckt worden war, eingetroffen sei. Wie die anderen Opfer war Julia Henning vergewaltigt und erwürgt worden; wiederum gab es keine fremde DNA oder sonstige Details, die das Spurensicherungsteam oder der Gerichtsmediziner hätten sicherstellen können.
Doch die Autopsie hatte noch etwas anderes enthüllt.
»Es hat den Anschein, dass sie nicht so frisch war, wie wir am Anfang dachten«, erläuterte Dirk.
»Und das bedeutet?«, fragten Nicola Brüggemann und Fabel im Chor.
»Es bedeutet, dass bei einer Blutanalyse des Opfers Hinweise auf eine Kaltlagerung gefunden wurden. Sie ist nicht eingefroren, aber bei einer sehr niedrigen Temperatur aufbewahrt worden, wie in einem Kühlhaus.«
»Jemand hat versucht, den Zeitpunkt des Todes zu vertuschen?«, fragte Fabel.
»Danach sieht es aus«, erwiderte Thomas Glasmacher. »Man kann nicht feststellen, wie lange sie im Kühlraum und wie lange sie danach bei normaler Temperatur gelagert wurde. Jedenfalls hat der Mörder offenbar versucht, uns über den Todeszeitpunkt zu täuschen. Und es ist ihm gelungen.«
»Aber warum?«, fragte Werner. »Warum jetzt? Er hat so etwas noch nie getan.«
»Es sei denn, er glaubt, einen Fehler gemacht zu haben«, sagte Dirk. »Oder vielleicht hat ihn jemand gesehen, und er versucht, den Zeitpunkt zu verfälschen, damit er nicht mit dem Tatort in Verbindung gebracht werden kann.«
Fabel dachte über Hechtners Bemerkung nach. »Möglich, aber es passt nicht zu dem, was uns über seinen Modus bekannt ist. Ich weiß nicht, Dirk, aber es ist ein seltsamer Wechsel seines Musters.«
Sie ließen das Thema vorläufig ruhen, damit Thomas Glasmacher und Dirk Hechtner ihren Bericht über das Opfer erstatten konnten. Sie hatten lediglich herausgefunden, dass Julia Henning eine hübsche, intelligente, doch zurückhaltende und ungebundene junge Anwältin gewesen war, die für eine Wirtschaftskanzlei in Hamburg arbeitete und sich hauptsächlich Urheberrechtsstreitigkeiten widmete. Thomas und Dirk hatten mit Julias Eltern, Kollegen und ihren relativ wenigen Freunden gesprochen. Trotz ihrer Attraktivität hatte Julia kaum feste Beziehungen zu Männern gehabt und war zur Zeit ihres Verschwindens mit niemandem liiert gewesen. Sie hatte in Eppendorf allein unter der Adresse gewohnt, die Fabel von der Frau im Hafen erfahren hatte, und war zum letzten Mal am Freitagnachmittag an ihrem Arbeitsplatz gesehen worden. Damit kam das ganze Wochenende für den Mordzeitpunkt in Frage.
Eines fiel auf. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung war nichts weiter gefunden worden. Erst beim Hinausgehen hatte Dirk plötzlich bemerkt, dass etwas fehlte und durch seine Abwesenheit hervortrat. Der Computer. Denn alle Opfer des Network-Killers hatten mit ihm über Social Networking Sites Kontakt gehabt.
»Also dachten wir, dass sie, wenn sie keinen Computer besaß, vielleicht ein webfähiges Handy hatte.«
»Lasst mich raten«, warf Fabel ein, »ein Handy wurde auch nicht gefunden.«
»Julia Henning muss die einzige Siebenundzwanzigjährige in Hamburg gewesen sein, die weder einen Computer noch ein Mobiltelefon besaß. Deshalb haben wir ein Spurensicherungsteam in die Wohnung geholt. Es ist ziemlich klar, dass jemand ihre Sachen mitgenommen hat, möglicherweise der Mörder.«
»Haben die Nachbarn etwas gesehen?«
Diesmal antwortete Thomas Glasmacher, der größere und ruhigere der beiden. »Nein, niemand hat etwas Ungewöhnliches bemerkt oder eine unbekannte Person beim Betreten oder Verlassen der Wohnung gesehen. Wir haben einen Schuhkarton voller Quittungen und Garantien gefunden und sind noch dabei, ihn durchzugehen. Außerdem haben wir ihre Bank um eine detaillierte Liste all ihrer
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