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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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ihm vielleicht den Magen zerreißen. Aber sollte er das Stück deshalb liegenlassen? Nein, auf keinen Fall! Also überwand er sich und würgte es herunter. So errang er einen schönen Sieg über sich selbst.“
    „Was bist du doch für ein reizender kleiner Schäker“, sagte Tim spöttisch. „Wenn du nur den Mund aufmachst, bin ich schon immer irgendwie ergriffen.“
    „Wie wär’s denn mit Rauschgift?“ warf Jan Tabak ein.
    „Hast du welches zu verkaufen?“ fragte Tim.
    „Nein, du Döskopp, dir wird was angeboten, aber du nimmst es nicht. Du trinkst statt dessen ein Glas Bier. Das ist doch auch ein ganz hübscher Sieg.“
    „Hör auf, Jan!“ rief Tina. „Kinder dürfen kein Bier trinken.“
    „Wenn du nicht bald anfängst mit deinem Aufsatz, bist du morgen noch nicht fertig damit“, ließ Jenny sich wieder vernehmen. „Setz dich hin und schreib drauflos, dann werden dir auch die Gedanken kommen. Ist euch jungen Leuten denn die Selbstüberwindung etwas so Unbekanntes? Sieh mich an, ich muß mich täglich hundertmal selbst besiegen. Immer wenn ich deine langen Haare sehe, möchte ich mir eine Schere nehmen und sie dir abschneiden. Aber ich habe es bis heute noch nicht getan.“
    Tim griente.
    „Wie lieb von dir, Oma Jenny“, sagte er. „Dafür nehme ich dich auch mal mit, wenn ich wieder eine längere Bootsfahrt mache.“
    Tina stand auf und begann das Geschirr abzuräumen.
    „Geh in dein Zimmer“, sagte sie, „hier wird nichts aus dem Aufsatz. Viele Köche verderben den Brei.“
    „Na also“, knurrte Tim, „du gibst wenigstens zu, daß du mit dem Thema nichts anfangen kannst. Hätte ich mir ja gleich denken können, daß von euch keine Hilfe zu erwarten ist. Jetzt hocke ich also allein da mit dem Problem, ob ich ehrlich sein und schreiben soll, daß ich es doof finde, sich selbst zu besiegen, oder ob ich dem Pauker nach dem Mund reden und irgend so eine verlogene Geschichte erfinden soll.“
    „Ehrlich währt am längsten, und Lügen haben kurze Beine, ist meine Meinung“, bemerkte Jan Tabak. „Zum Lügen hast du im Alter noch Gelegenheit genug. Solange du jung bist, reiße das Maul auf und sage unbekümmert, was du denkst.“
    Tim grinste und strahlte seinen Onkel an.
    „Ich danke dir für dieses offene Wort“, sagte er. „Das ist auch eine Hilfe.“
    Jenny schob ihren Stuhl geräuschvoll zurück und half Tina beim Abdecken.
    „Wie kann ein älterer Mann einem heranwachsendsen Menschen nur solche Ratschläge geben!“ empörte sie sich. „Was soll aus dem Kind werden, wenn es zu derartigen Frechheiten angestiftet wird?“ In ihrer Erregung vergaß sie, daß sie die Suppenschüssel in der Hand hatte, und ging einen halben Schritt zu nahe an den Spültisch heran. Es klirrte, und Familie Marwedel mußte fortan die Suppe im Topf auf den Tisch stellen.
    Tim aber stand auf, ging nach oben und brachte seine Meinung vom Sieg über sich selbst ohne jede Hemmung zu Papier.
    Eine Woche danach zeigte er grinsend sein Aufsatzheft herum, in das der Lehrer mit roter Tinte hineingeschrieben hatte, was er von Tims Machwerk hielt.
    „Die Offenheit“, so war da zu lesen, „mit der Du ausführst, daß Du an einem Sieg über Dich selbst nie interessiert bist und es vorziehst, immer Deinen augenblicklichen Neigungen und Gelüsten nachzugeben, ist das einzig Lobenswerte an Deinem Aufsatz.“
    Und darunter hatte der Mann eine dicke rote Vier gemalt.
     

SOS im Teufelsmoor
     
    Seit Jahren ging Tina am Mittwochnachmittag aus dem Haus. Mit anderen Frauen traf sie sich bei der alten Witwe Menke, die schwer gichtleidend war und kaum noch gehen konnte. Dort saß man zusammen und tat ein „Werk der Nächstenliebe“, wie Tina es nannte. Jan Tabak nannte es Kaffeeklatsch. Die Frauen strickten Schals, Socken und Pullover für „Frierende in aller Welt“.
    Seit Jenny bei den Marwedels wohnte, ging auch sie mit zum Stricken und Kaffeetrinken. So waren denn Jan und die Kinder jeden Mittwochnachmittag allein. Damit sie nicht verhungerten, backte Tina stets einen Kuchen, von dem sie eine Hälfte aufessen durften. Die andere nahm Tina mit zu ihrer karitativen Sitzung.
    Tim, Nicole und Jan störten sich nicht daran, daß die beiden Frauen nicht im Hause waren. Sie vertrugen sich gut allein und machten sich manche vergnügte Stunde.
    Diesmal wollten sie wieder einen von Jans Freunden besuchen.
    „Ich kenne da jemanden im Teufelsmoor“, sagte Jan, nachdem das letzte Stück Kuchen gegessen war, „bei dem es sehr

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