Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
Vom Netzwerk:
gemeinsames Leid verbindet, wandte sie sich ihr mitfühlend zu. Ihre unteren Augenlider hingen herunter, und ihr Gesichtsausdruck war der einer alten Dame, die verzichtet hat und nichts mehr von dieser Welt erwartet. Jenny hingegen, anfangs erschrocken, dann gerührt von der Geste des Mitgefühls und des Mitleidens, sah auf den Hund hinab mit dem Ausdruck der getretenen, duldsamen Kreatur, die ertragen gelernt hat, ohne zu klagen. Als sie sich über ihn beugte und ihn kraftlos tätschelte und streichelte, war sie ihm auch äußerlich sehr ähnlich.
    Jan, Tina und die Kinder beobachteten schweigend, wie hier zwei Wesen zusammenfanden, die sich bislang immer aus dem Weg gegangen waren.
    HinnerkMurken tauchte erst wieder auf, als das Schiff auf der Reede lag und das Ausbooten begann. Er hatte nach dem einen Aperitif noch mehrere Schnäpse getrunken und war jetzt sichtlich guter Dinge.
    „Hallo, Leute!“ schrie er Jan Tabak und seiner Familie zu. „Wir sind da! Rot ist der Sand, gelb ist die Kant, und das alles nennt sich Helgoland oder so ähnlich heißt das ja wohl. Rein in die Boote, Kameraden, sonst kommen wir zu spät und kriegen nichts mehr ab von den herrlichen Getränken auf der Schnapsinsel!“ Er begann zu singen und ließ sich in dem Strom der Fahrgäste zum Ausgang treiben. Jennys elender Zustand und Ladys Unwohlsein fielen ihm nicht auf. Ihm war die Seefahrt gut bekommen, ja, auf dem Barhocker vor der Theke hatte er gar nicht gemerkt, daß er mit einem Schiff durch die Nordsee pflügte. Als einer der ersten ließ er sich von harten Helgoländer Männerfäusten in die weiße Barkasse helfen, setzte sich taumelnd einer jungen Frau auf den Schoß, entschuldigte sich lachend, winkte, während das Boot ablegte, den Zurückbleibenden fröhlich zu und sang lauthals:
     
    „ Eine Seefahrt, die ist lustig,
    eine Seefahrt, die ist schön!
    Ja, da kann man an der Reling
    manchen Seemann spucken sehn.“
     
    Das stimmte für den Augenblick nicht. An der Reling jedenfalls stand niemand mehr, weder Seemann noch Fahrgast. Aber unter Deck mußte sich Jenny tief über ihre Tüte beugen. Ausgerechnet jetzt! Danach war ihr etwas wohler, und sie konnte sich erheben und müden Schrittes in das letzte Boot wanken. Lady, vorher von Jan mehrfach aufgefordert, mitzukommen, folgte seiner Leidensgenossin wortlos. Zehn Minuten später waren sie an Land. Die Eroberung der Insel konnte beginnen.
    Lady machte probeweise ein paar Schritte, um zu testen, ob die Kaimauer genauso beweglich aufgehängt war wie der Fußboden des Schiffes. Als sie merkte, daß das nicht der Fall war, sah sie sich erstaunt um, damit Jan oder sonst jemand ihr bestätigte, daß sie durchaus richtig empfinde.
    „Los, Lady, komm, die Welt steht wieder still!“ sagte Tina und wollte sie mit sich fortnehmen. Aber Lady blieb, wo sie war. Auch Jan und den Kindern folgte und gehorchte sie nicht. Erst als Jenny die Stufen hochgestiegen war und langsam an ihr vorbeiging, schlug sie mit dem Schwanz und schloß sich an.
    „So“, sagte die alte Dame, „da bin ich, und da werde ich auch die nächsten vierzehn Tage bleiben. Vorher kriegen mich keine zehn Pferde auf dieses elende Wackelschiff.“
    Während Jan mit Tina und den Kindern einen Rundgang über die Insel machte, saß sie auf einer der weißen Bänke und öffnete ihr Ohr dem Kurkonzert. Neben ihr lag Lady, eng an ihre Beine geschmiegt. „Geht nur zu“, hatte sie ihrer Familie gesagt, „ihr fahrt ja heute noch zurück. Ich guck mir die Insel in den nächsten Tagen an, ich kann mir ja Zeit lassen.“
    Tatsächlich erbat sie sich von einem Einheimischen die Adresse einer Pension und mietete sich dort für zwei Wochen ein. Daß Lady bei ihr blieb, verstand sich von selbst. Die mußte sich genauso von der Seefahrt erholen wie Jenny.
    Um fünfzehn Uhr dreißig stand sie wieder an der Pier und verabschiedete sich von ihrer Familie und Hinnerk Murken.
    „Tante Jenny“, rief Tina, „willst du wirklich hierbleiben? Ganz allein?“
    „Ich bin doch nicht allein“, antwortete Jenny lächelnd, „Lady ist doch bei mir.“
    „Aus dem Vieh soll einer schlau werden“, brummelte Jan Tabak. „Na, hoffentlich vertragt ihr euch.“
    Tim und Nicole trugen pfundschwere Schokoladentafeln unter dem Arm, er aber hatte sich einen Liter vom allerbesten Kognak gekauft und Tina überredet, eine Riesenflasche echten Schottischen Whiskys mitzunehmen. Hinnerk Murken schleppte zwei Flaschen mit sich herum, eine in der Tasche und

Weitere Kostenlose Bücher